Die Kinder des Ketzers
den Markt», murrte er. «Fünf Écu d’or für so einen Mist!»
«Los, zieh es an, zieh es an!» drängte Catarino, und Cristino legte sich die Kette um den Hals. Das Medaillon prangte auf ihrer Brust wie eine aufgehende Sonne.
«Da ist die Kutsche, Bardou, Mama!», schrie Frederi Jùli und flitzte nach rechts davon. Cristino folgte langsamer. Sie fühlte sich eigenartig beschwingt. Als ob sie ein Glas Wein zuviel getrunken hätte.
***
Der Nachmittag barg eine freudige Überraschung für Fabiou, den Poeten, und eine herbe für seinen jüngeren Bruder. In beiden Fällen hörte sie auf den Namen Bruder Antonius. Als sie nach Hause kamen, erwartete sie Frederi strahlend mit der Nachricht, dass seine Unterredung mit dem Abt erfolgreich gewesen und der junge Mönch bereits eingetroffen sei und auf seinen Schüler warte. Auf Frederi Jùlis verzweifelte Grimasse hin meinte er in einem seiner seltenen Anflüge von Humor, er habe noch eine kleine Gnadenfrist, Bruder Antonius wolle nämlich zuerst noch Fabiou sprechen. Er sagte dies mit fragendem Blick, und Fabiou beeilte sich zu erklären, es handele sich um einen wissenschaftlichen Disput, den sie gestern Abend begonnen und nicht zu Ende geführt hätten. Er legte keinen gesteigerten Wert auf ein neuerliches Donnerwetter. Wenn seine beiden Schwestern auch nur geringes Interesse an seinen Theorien bezüglich des ermordeten Kaufmanns zeigten, ein Wiedersehen mit Bruder Antonius war eine verlockende Aussicht, und so kam es, dass neben Fabiou und Frederi Jùli auch Cristino und Catarino den Weg ins Studierzimmer fanden – so etwas gab es im Hause Auban –, wo der Mönch bereits auf sie wartete. «Ah, da seid ihr ja!», rief er erfreut, als sie eintraten. Fabiou warf seinen Schwestern einen tadelnden Blick zu, das, was er mit Bruder Antonius besprechen wollte, schien ihm nun wirklich nicht für die Ohren von Mädchen geeignet, doch der Mönch schien sich so sehr über das Kommen seiner Schwestern zu freuen, dass er es nicht übers Herz brachte, sie wegzuschicken. 167
«Und?», fragte er stattdessen, zu gespannt, um sich mit unnötigen Begrüßungsfloskeln aufzuhalten.
«Setzt euch.» Bruder Antonius wies auf die Stühle, die den Ebenholztisch in der Mitte des Raumes umstanden, und nahm selbst Platz, das Bücherregal in seinem Rücken, die Front mit den Butzenglasfenstern gegenüber. Anders als Fabiou schien er keinerlei Einwände gegen die Anwesenheit der Mädchen zu haben; im Gegensatz zu vielen anderen Geistlichen war er der Meinung, dass Frauen durchaus zur Bildung und damit auch zur Teilnahme an Disputen befähigt waren, und er hatte die Mädchen noch nie von seinen Unterredungen mit Fabiou ausgeschlossen.
«Also?» Erwartungsvoll ließ Fabiou sich auf einen der gepolsterten Holzstühle fallen. Robon d’Auban war eine gewisse Vorliebe für Luxus nicht abzusprechen. Die anderen drei folgten seinem Beispiel, die Augen fragend auf Bruder Antonius gerichtet; im Gegensatz zu Fabiou hatten sie keine Ahnung, was der Mönch ihrem Bruder mitteilen wollte.
«Nun gut.» Bruder Antonius legte das bekannte Lederpäckchen auf den Tisch, schlug es auseinander und seufzte tief, was Fabiou nicht unbedingt als gutes Zeichen wertete. «Dieses Päckchen enthält drei unterschiedliche Schriftstücke, alle, wie du richtig vermutet hast, in Deutsch geschrieben. Da ist zunächst mal ein Passierschein für ein Land namens Bavaria, aus dem immerhin die Identität des Toten hervorgeht. Sein Name war Heinrich Trostett, Kaufmann aus Leipzig, 52 Jahre alt. Ansonsten nur rechtliches Geplänkel, nichts weiter. Dann das zweite, ein Empfehlungsschreiben an einen deutschen Kaufmann in Ais namens Arthur Petri, womit wohl auch das Ziel seiner Reise klar sein dürfte. Bis auf eine ziemlich allgemein gehaltene Aufzählung seiner Tugenden und Verdienste gibt dieses Dokument aber auch nicht viel her.» Er schob ein paar Blätter beiseite, seufzte noch einmal. «Das eigentlich Interessante war die Nummer drei, eine Sammlung loser Blätter, allesamt in der gleichen Handschrift beschrieben, offensichtlich von dem Toten selber. Es ist – nun, wie will man sagen – eine Art Gedankensammlung.»
«Ein Tagebuch?», fragte Fabiou aufgeregt.
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«Nein – nicht direkt ein Tagebuch, auch kein Reisebericht, nie ein Datum, nie eine chronologische Auflistung von Ereignissen…
Man hat das Gefühl, dass er einfach das aufgeschrieben hat, was ihm gerade durch den Sinn ging.»
«Aber das könnte uns doch einige
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