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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
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löffelähnliche Gabel mit drei breiten Zinken) irgendeine Rolle gespielt hat. Bestimmt hat er sich einmal zu oft höchster Sonnenstrahlung ausgesetzt, während er sich an ein behelfsmäßiges Rettungsfloß klammerte. Er hat in der Strahlung buchstäblich gebadet, und sie hat seinem Gehirn die Konsistenz von Bimsstein verliehen und bei ihm eine eigenartige Sprachbehinderung hinterlassen. Er sagt, er habe sieben Jahre bis zur Landung auf einem benachbarten Asteroiden gebraucht. Zu diesem Zeitpunkt waren zwei Drittel seiner Kumpel bereits gestorben und die
Hälfte der Überlebenden wahnsinnig. Doch nachdem er mit seinem Floß endlich gestrandet war, ging er mit einem stahlharten Glanz in den Augen an Land und verkaufte seine Geschichte, die er wegen seiner Sprachbehinderung nur stotternd herausbrachte, einem auf solche anrührenden oder abenteuerlichen Berichte spezialisierten Nachrichtendienst. Als Honorar dafür gliederte man ihn in das Unternehmen ein, gab ihm also einen offiziellen Rechtsstatus und zahlte ihm den einfachen Flug im Konservendosendeck zum Marshafen, den er unverzüglich Richtung Marsoberfläche verließ. »Hab mich immer danach gesehnt, diese Welt mit dem gekrümmten Horizont kennenzulernen.« Sofort verliebte er sich in die trostlose, eiskalte Wüstenlandschaft, durch die sich kreuz und quer stählerne Schienen zogen – wie Spuren des Schicksals.
    Er hat kein Fünkchen Rachsucht in sich, das kann ich schwören. Selbst jetzt noch kommen mir die Tränen, wenn ich an ihn denke.
    Im Gegenzug erzähle ich Bilbo meine Geschichte – jedenfalls so viel davon, wie er meiner Meinung nach verkraften kann. Was ich auslasse, sind Namen, Orte, Zeitangaben und einige der schmerzlichsten persönlichen Erlebnisse, die kleinen Tragödien und bitteren Episoden der Selbstaufgabe während der hundertfünfzig Jahre, in denen ich mich ziellos treiben ließ. Aber das durchgängige Muster vermittle ich ihm: das sinnlose Verweilen in den Wolken-Kasinos von Venus, der schnelle Wechsel von Ausbrüchen heftiger Aktivität zum depressiven Rückzug auf die Erde, das hektische Flüchten und Maskieren, das mir aufgezwungen wurde, seit Stone und die Domina mich vor sieben Monaten ins Visier nahmen. Alles, was Bilbos mit Stacheln gespickter Kopf aufnimmt, wird er, wenn überhaupt, nur so wiedergeben, dass niemand daraus schlau werden kann. Bilbo ist ein Mysterium, aber ein gutartiges, und ich brauche eine Schulter, an der ich mich ausweinen kann, auch wenn es hier oben so kalt ist, dass ein wirklicher Tränenstrom kristallisieren und zerspringen würde. Nachts stöpseln wir uns in die frei zugängliche Buchse hinter
dem Frachtwaggon ein, kuscheln uns aneinander und wärmen uns gegenseitig unter den Schaumstoffplanen. Wenn ich könnte, würde ich noch mehr mit ihm teilen, aber leider ist er für körperliche Intimitäten nicht ausgerüstet – auch das ist eines der Übel, die seine Eigentümer ihm angetan haben.
    Am Nachmittag des dritten Tages rollen wir auf eine ferne Klippe zu, die sich vor einem Unheil verkündenden Horizont abzeichnet: Das rötliche Grau deutet auf einen bevorstehenden Sandsturm hin. Die Klippe ist so ausgehöhlt, dass sie Platz für einen Tunnel bietet, in den der Zug bald darauf hineinrumpelt. »Deine Endstation liegt gleich hinterm Licht am Ende des Tunnels«, warnt er mich vor. »Keine Angst ham! Deine Legionen wer’n dir zujubeln, du wirst schon sehn. Adieu! «
    Auf Wiedersehen meint er damit, glaube ich. »Bist du dir auch sicher?«, rufe ich über das Rumpeln und Rattern hinweg, das von den Tunnelwänden zurückgeworfen wird.
    »Adieu«, wiederholt er und deutet nach vorn. Ich spüre, wie der Zug langsamer wird, als er eine Steigung nimmt. Gleich darauf mündet der Tunnel in eine Art Schlucht, die der Zug mit etwa dreißig Stundenkilometern hinaufkriecht. Im Laufe der folgenden fünf Minuten wird die Schneise im Berg flacher, und über ihrem Rand tut sich der scharf umgrenzte Horizont auf. Wir haben die äußere Wand des Pavonis Mons wie mit einer Nadel durchstochen und sind nur noch knapp zwei Stunden von den Ausläufern des Marshafens entfernt.
    Ich hole tief Luft, doch meine Gasaustauschvorrichtungen ziehen kaum Nutzen daraus, denn die Atmosphäre hier oben ist bereits sehr dünn. Schließlich nicke ich. »Ich werde an dich denken!«, rufe ich, greife nach meiner Schultertasche und bereite mich darauf vor, erneut ins Chaos meines Lebens als Geheimagentin einzutauchen.

sex und schicksal
    AM RANDE

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