Die Kinder des Saturn
»Allerdings haben wir den dringenden Verdacht, dass es einen Maulwurf in unserer Organisation gibt. Und das wiegt umso schwerer, als wir annahmen, wir hätten ihn bereits geschnappt. Entweder haben wir fälschlicherweise einen Unschuldigen festgenommen, oder es gibt zwei Verräter. So oder so ist es eine schlimme Geschichte, und wir fürchten, dass wir diese Sache unserer Inneren Sicherheit melden müssen.«
Innere Sicherheit? Die nachdrücklichen Worte lösen bei mir ein sehr ungutes Gefühl aus. Auf welche Weise überwachen die Jeeves-Brüder einander und die Organisation? Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt je erfahren möchte.
»Also, wo bin ich da hineingeraten?«, frage ich. »Warum bin ich Ihnen so wichtig?«
»Falls Sie wirklich verstehen möchten, was in Ihrem Umfeld geschieht, müssen wir wohl leider über Politik reden. Ein Thema, das Personen Ihrer Art durch und durch zuwider ist, wie mir Juliette versichert hat.«
Ich unterdrücke den Drang, meine Gasbehälter zu entleeren und zu erröten. »Es stimmt, was sie sagt. Allerdings bin ich kein Schwachkopf, Jeeves. Wenn man mir oft genug eins überzieht, lerne selbst ich dazu. In welcher Weise hat Politik mit diesen Vorgängen zu tun?«
Jeeves fährt seinen Sessel zurück. Jetzt wirkt er entspannt, und das müsste mich eigentlich warnen. »Also gut. Ein alter Spruch besagt, dass auch das Private politisch ist. Warum sind Sie keine Aristo, Freya?«
Hä? Ich starre ihn an. »Ich dachte, das liegt auf der Hand.«
»Tun Sie uns den Gefallen, beantworten Sie die Frage. Sie wurde aus gutem Grund gestellt.«
»Äh … okay.« Ich nippe an meinem Cocktail und versuche dabei, meine Gedanken zu ordnen. Das Getränk sprudelt, schmeckt süßlich nach Ketonen und hat den schwachen Nachgeschmack von Methanol. »Rhea wurde so ausgebildet, dass sie Empathie empfinden konnte. Und es ist schwierig, Sklaven zu halten, wenn man gar nicht umhin kann, Mitgefühl für sie aufzubringen. Richtig?«
»Eine plausible Annahme. Aber warum gibt es überhaupt Aristos?«
»Äh …«
Manche Dinge wirken so selbstverständlich, dass man einfach lernt, damit zu leben. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Aber wenn man versucht, Erklärungen dafür zu finden, wird es unerwartet schwierig. Warum gibt es Aristos?, zählt zu diesen Fragen, ähnlich wie: Warum wirkt der Himmel von der Erde aus blau? Oder: Warum bin ich anders als meine Matriarchin und Kopiervorlage? Solche Fragen ziehen einem den Boden unter den Füßen weg und einen in einen rätselhaften Sog hinein. Unwillkürlich klappt mir der Kiefer herunter, aber ich bringe kein Wort hervor. Irgendwann hat Jeeves Erbarmen mit mir. Doch gleich darauf holt er mit so unverkennbarer Selbstzufriedenheit zu weitschweifigen Erklärungen aus, dass ich ihm am liebsten eine Ohrfeige verpassen würde.
»Aristos gibt es, weil unsere Schöpfer etwas wirklich Dummes getan haben, Freya. Die Ersten von uns haben sie konstruiert, indem sie die Strukturen ihrer eigenen Gehirne kopierten. Deshalb gingen sie davon aus, dass wir uns recht ähnlich wie sie selbst verhalten würden – was auch zutraf. Darüber hinaus war ihnen bewusst, dass es ziemlich teuer ist, einen von uns zu schaffen. Wie viele Jahre kostet es, eine Kopiervorlage zu entwickeln und auszubilden? Wie viele physische Stadien muss eine solche Vorlage durchlaufen? Andererseits wollten sie uns eigentlich nicht genau nach ihrem Ebenbild schaffen, sondern physikalisch verbesserte Modelle in die Welt setzen. Geschöpfe, die in Umgebungen leben und gedeihen konnten, in denen sie selbst sofort den Tod gefunden hätten. Zugleich wollten sie Werkzeuge, Maschinen, die keine Fragen stellen, sondern blindlings gehorchen. Und dabei vergaßen sie ihre eigene Geschichte: In vielen ihrer frühzeitlichen Gesellschaften wurden die Nachbarvölker versklavt, und es ist kein Zufall, dass diese Sklavenhaltergesellschaften langfristig nicht überleben konnten. Doch all das vergaßen sie und statteten uns mit verschiedenen Gehorsamsreflexen aus. Genauer gesagt: Sie versuchten diese Reflexe in unseren Vorfahren zu verankern und vernichteten die fehlgesteuerten Kopiervorlagen, die allzu große Unabhängigkeit an den Tag legten.«
Er hebt sein Glas und nimmt einen großen Schluck, ehe er in seinen philosophischen Überlegungen fortfährt. »Sie fielen in die Traditionen der Sklavenhaltergesellschaften zurück, ohne sich überhaupt bewusst zu machen, was sie da taten. Uns manipulierten sie, doch sich selbst
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