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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
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weil Juliette in Wirklichkeit nicht Selbstmord begangen hat, habe ich einen viel lebhafteren Eindruck von ihr als von anderen meiner Sippe.
    In der sechsten Nacht, die ich in Granitas Palast verbringe (allein, denn meine Gebieterin hat seit unserem Rendezvous in der Aussichtskuppel nicht mehr mit mir geschlafen), kann ich Juliette in meiner Nähe fast auf und ab gehen hören. »Du bist ein Schwachkopf, Freya«, sagt sie. »Nach allen Regeln der Kunst ist es der älteste Trick überhaupt. Wieso bist du darauf hereingefallen?«
    »Das ist nicht meine Schuld gewesen«, wende ich ein. »Sie war mir beim ortsansässigen Jeeves einfach einen Schritt voraus. Und ich musste dorthin – an wen sonst hätte ich mich denn wenden sollen? Schließlich hatte ich meine Anweisungen.«
    Sie schnaubt verächtlich. »Sie ist aufgrund von Insiderwissen auf Reginald gekommen, willst du wohl sagen. Du bist diejenige, deren Verhalten nicht zu entschuldigen ist, Schwester. Wer hat dich denn deiner Meinung zu Reginald geschickt? Es war genau derselbe, der mich – und Reggie – ins Visier genommen hat. Warum hat er dir wohl den Auftrag gegeben, Reggie zu töten? Um dich von seiner Person abzulenken. Und selbst wenn ihm das nicht gelungen wäre: Durch den Mordauftrag wollte er dich zumindest davon abhalten, weitere Fragen zu stellen. Fragen zu dem, was in Wirklichkeit vor sich geht. Es war eine Falle, und du bist mitten hineingetappt. Und jetzt bist du eine Arbeitssklavin.«

    »Das ist gar nicht so schlimm«, entgegne ich zaghaft. »Ich meine, es ist ja nicht so, als hätte man mir eine Schaufel in die Hand gedrückt und das Denken verboten …«
    »Erzähl mir doch keinen Scheiß«, erwidert sie mit abgrundtiefer Verachtung. »Du bist eine Sklavin, Mädchen. Auch eine Sklavin in Aristo-Klamotten ist und bleibt eine Sklavin. Niemand außer deiner Gebieterin kann dich herumschubsen, aber du wirst so lange eine Sklavin bleiben, bis du diesen Chip loswirst. Und solange sie dich dazu bringen kann, dir eigenhändig eine Ohrfeige zu versetzen oder sie zu ficken oder dir selbst die Brüste abzuschneiden, wenn sie dir ein Messer und die entsprechende Anweisung gibt, bist du nichts als ein versklavter Roboter . Weißt du überhaupt, was sie mit dir vorhat? Sie wird dich einem Schöpfer ausliefern. Und dann wirst du erst recht eine Sklavin sein, nämlich auf doppelte Weise versklavt. Du wirst dich auf den Schöpfer fixieren, und zugleich wird sie dir befehlen können, was du zu tun hast. Also wirst du niemals wieder in Freiheit leben.«
    »Freiheit?« Das Wort schmeckt bitter. »Was hat mir die Freiheit je genutzt? Mir scheint, ich bin fast mein ganzes Leben lang frei gewesen, aber was hat es mir in Wirklichkeit gebracht?«
    Sie schweigt kurz. »Frag nicht, was es dir gebracht hat, Mädchen. Frag lieber, vor was es dich bewahrt hat.«
    Ich weiß ja, was ich im Moment empfinden müsste: In Anbetracht meiner entwürdigenden Lage müsste ich nackte existenzielle Verzweiflung empfinden, müsste die Wände hochgehen und an den Gitterstäben rütteln. Aber sie hat mir befohlen, es nicht zu tun, und jetzt kann ich mich über meine Situation nicht einmal mehr aufregen. Mal abgesehen davon, dass dieser nächtliche Dialog mit meiner Schwester, deren Präsenz ich mir nur einbilde, eine raffinierte Möglichkeit sein mag, meinen inneren Konflikt zu bewältigen. »Vor was denn bewahrt? Als ich zum ersten Mal der Domina begegnet bin, auf Venus, spielte ich immerhin mit dem Gedanken, allem ein Ende zu machen«, rufe ich Juliette ins Gedächtnis.

    »Den Teufel hast du! Du lügst dir selbst was vor, Freya. Wir beide, du und ich, haben hundertvierzig Jahre lang überlebt. Weißt du, wie die zeitliche Kurve beim Zerfall der geistigen und seelischen Gesundheit aussieht? Diejenigen von uns, die sich vom Leben verabschieden, tun das normalerweise in den ersten sechzig Jahren. Du bist fast anderthalb Längen darüber hinaus!«
    »Aber die Seelenchips …«
    »Werden der Reihe nach innerhalb der Schwesternschaft weitergereicht, und du bist eine unserer Jüngsten, stehst am Ende dieser Kette, bist die Letzte in der Warteschlange. Du bist wirklich verdammt unterbelichtet, oder?« Während sie kurz den Mund hält, überlege ich aufgebracht, was ich ihr entgegnen soll, doch sie kommt mir zuvor. »Allerdings bist du nicht schuld daran. Ich glaube, wir haben euch Nachzügler allzu sehr behütet. Deshalb und auch in Anbetracht dessen, was mit Rhea passiert ist, als an der

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