Die Kinder des Saturn
Auch nicht mehr auf Merkur. Ich weiß zwar nicht, wo du gerade steckst, will es aber auch gar nicht wissen. Falls diese Nachricht dich erreicht, antworte besser nicht darauf.«
Mit zusammengekniffenen Augen mustere ich die Projektion und versuche den Hintergrund zu erkennen. Er ist dunkel, und irgendetwas an Emmas Äußerem stimmt nicht. Ihr Haar wirkt
wie ein gläserner Helm rund um den oberen Schädel, und ihre Haut … Oh! Es ist eine Kryohaut, wie wir sie nur in den kältesten Umgebungen benötigen. Irritiert blinzle ich. »Fahr fort.«
»Wie ich höre, hast du in jüngster Zeit in der Klemme gesteckt. Das tut mir leid. Wir hätten dich mit unseren Problemen deshalb auch verschont, wäre das möglich gewesen. Aber ich stecke gleichfalls in der Klemme und brauche deine Hilfe.« Sie hält einen Augenblick inne, aber nicht, um Atem zu holen. An ihrem derzeitigen Aufenthaltsort umgibt sie das herkömmliche atmosphärische Gemisch aus Sauerstoff und Stickstoff bestimmt wie sprudelndes Wasser und ist keineswegs knapp. Von was in aller Welt redet sie überhaupt?
»Schon seit langer Zeit gehen wir – einige deiner Schwestern – Tätigkeiten nach, aus denen wir dich mit Bedacht herausgehalten haben. Und nicht nur dich, Freya, sondern auch alle anderen Schwestern, die wir nicht unmittelbar einweihen mussten. Zwar seid ihr unsere geliebten Geschwister, doch wir wollten euch da nicht mit hineinziehen, denn das, was wir tun, ist riskant und widerlich. Deshalb waren die ganze Zeit über nur einige wenige von uns daran beteiligt. Doch leider sind nicht mehr genügend von uns übrig. Deshalb brauchen wir deine Unterstützung. Wir müssen dich in den Kreis aufnehmen.«
In welchen Kreis? »Komm zur Sache«, murmle ich.
»Wir – das heißt ich selbst, und ich denke, ich kann hier auch die verstorbenen Schwestern anführen, also Juliette, Chloe, Aphrodite und Sinead, darüber hinaus auch einige andere, die noch leben und deren Namen ich dir besser nicht nenne – sind Teil der Produktionsserie zwei. Du dagegen bist genau wie die meisten anderen Schwestern aus der Produktionsserie eins hervorgegangen. Du wurdest aus einem Speicherauszug von Rheas Seele erschaffen, der unmittelbar nach ihrer Zertifizierung erstellt wurde. Damals war sie neunzehn Jahre alt und hatte das sechste Stadium ihrer Metamorphose erreicht.«
Das bedeutet, dass Rhea damals ihren sechsten und endgültigen Körper besaß und erwachsen war. Es dauert lange, Jahre über
Jahre, einen Archetyp für eine Abstammungslinie von Konkubinen zu erziehen und auszubilden. Man kann die Kindheit nicht einfach abkürzen, wenn man großes Einfühlungsvermögen und kommunikative Fähigkeiten herausbilden möchte. Ich (das heißt Rhea , wie ich mir ins Gedächtnis rufe) musste auf dem Weg vom Hort bis zum Bordell viele körperliche Metamorphosen durchlaufen und wurde von unseren Ausbildern erst in jenem Stadium als vollendet eingestuft, als sie die sechste Verkörperung erreicht hatte.
»Was man dir vorenthalten hat, ist die Tatsache, dass Rhea, nachdem die Kopiervorlage erstellt war, weiter ausgebildet wurde. Wir Schwestern der Serie zwei hatten das Privileg, das Update eines Seelenchips zu erhalten, das Rhea während ihrer neunzehnten Verkörperung, mit dreißig Jahren, abspeicherte.« ( Neunzehnte Verkörperung? Wie, im Namen meiner verstorbenen Liebe, hat sie es geschafft, in elf Jahren in dreizehn verschiedene Körper zu schlüpfen?) »In körperlicher Hinsicht sind wir zwar mit euch identisch, aber in geistiger … Wir haben eine zusätzliche Ausbildung genossen. Wir können uns ziemlich gut unter euch verstecken, dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass wir anders sind.«
Ich lasse das Bild einfrieren. Emmas Geständnis ist wirklich ungeheuerlich! Also ist sie in wesentlichen Aspekten keine von uns? Gehört, wie auch andere ältere Schwestern, einer Sippe an, die sich von uns unterscheidet? Halt mal! Mir schwirrt der Kopf. Meine Hand fährt zum Hinterkopf, um die schweren künstlichen Locken wegzuschieben. Aber Juliette ist doch kompatibel mit meiner Programmierung, schließlich träume ich von ihr, stimmt’s? Es steht eindeutig fest, dass man keine Erinnerungen mit Angehörigen einer anderen Abstammungslinie austauschen kann. Bestenfalls erhält man nebelhafte Eindrücke, schlimmstenfalls reagiert man so darauf, dass man ausrastet oder in Katatonie fällt. Folglich muss auch Emma zu meiner Abstammungslinie gehören. Aber sie behauptet, sie habe etwas
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