Die Kinder des Saturn
überhaupt irgendeinen Sinn, auch wenn es kein selbst gewählter ist. Und so versuche ich, meine Tage irgendwie auszufüllen, ohne mir allzu viel Sorgen darum zu machen, dass mir das Geld ausgehen könnte. Ich miete eine billige Spinne an und stürze mich auf die Basare, Geschäftspassagen und Einkaufszentren, jage nach Schnäppchen und sehe mir die Sehenswürdigkeiten an. Immer noch nenne ich mich Maria; doch jetzt ist das Verstecken kaum noch wichtig, da ich das Frachtgut nicht mehr in mir trage. Deshalb buche ich auch ein Postfach bei einem diskreten privaten Transportunternehmen und sorge dafür, dass die Post meines wahren Ichs dorthin geleitet wird.
Nach einigen Tagen habe ich die Einkaufsbummel über, und in mir machen sich wieder Gefühle der Einsamkeit und Langeweile breit. Dabei hat die Stadt durchaus Abwechslungen zu bieten, also zwinge ich mich dazu, auszugehen und mich nicht in meinem Zimmer zu verschanzen, denn dort lauert bloß dumpfe
Depression. Eines Nachmittags komme ich auf dem Heimweg am Rande der 80. Straße an verstaubten recycelten Frachtcontainern vorbei. Ich weiß zwar nicht, was mir an ihnen auffällt, sehe aber zweimal hin und habe dabei den Eindruck eines Déjà-vu. Juliette kannte sich hier aus, da bin ich mir sicher. »Halte an und fahr zurück«, befehle ich der Spinne und deute auf die Straßenseite. »Was ist das für ein Gebäude?«
Das Navigationsmodul meiner Spinne reagiert ziemlich forsch. »Das Gebäude gehört der Museumsstiftung Scalzi und ist der Öffentlichkeit zugänglich. Soll ich hier parken?«
»Ja, tu das.« Es hat keinen Wert, sich mit Spinnen allzu viel zu unterhalten. Dem oberflächlichen Eindruck nach sind sie zwar aufgeweckt, aber tief drinnen ist niemand zu Hause. »Verriegele dich und lass keinen herein, bis ich zurück bin.«
Die Spinne kauert sich auf dem Parkplatz neben die tristen grauen Container, die grob zusammengeschweißt sind. Wie bei so vielen Konstruktionen in der Stadt Marshafen ist auch hier kein Hinweis auf deren Inhalt zu finden. Planlos gezogene Kabel an ihrer Oberseite und plumpe Rohre und Röhren verbinden die Containerstapel mit ihren Nachbarn rechts und links an der Straße. Ich steige aus und gehe auf den Eingang zu, eine durch die Außenhülle des Gebäudes gebohrte Luftschleuse, die an das Mundstück eines reproduktionsfähigen Parasiten erinnert.
Das Schloss rotiert, und die Türen öffnen sich, um mich einzulassen. Als ich das Innere erblicke, schnappe ich nach Luft. Was mir ins Auge springt, sind nicht so sehr der glänzende Marmorfußboden, die gewölbte Decke und die breiten, elegant geschwungenen Treppenaufgänge zur Empore, sondern die seltsame Skulptur unmittelbar vor mir. Sie besteht aus massiven, weißlichen Steinen, in die komplizierte Muster eingraviert sind: seltsame Sporen, Stacheln, Wirbel und Vertiefungen. Offenbar steht die Skulptur auf zwei Beinen – zumindest wirken diese Glieder wie Beine -, allerdings sind sie in Abschnitte unterteilt und in der Mitte zerbrochen. Ganz unten sitzen merkwürdig geformte Kiesel, die wie Zehen aussehen.
»Guten Tag, Madame«, sagt ein Hauswart und gleitet aus seiner Nische. »Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
Wie ein Tölpel reiße ich Mund und Augen auf und deute auf die Skulptur: »Was ist das?«
»Das ist Iwan«, erwidert der Hauswart, »unser Allosaurus. Eindrucksvoll, nicht wahr? Er ist der größte Dinosaurier jenseits der Erde.«
»Aber ist er …« Ich zögere, denn aus meinem Unterbewusstsein drängen Assoziationen nach oben, so als fügten sich winzige Bruchsteine zu einer Struktur zusammen. Wie bei dem Ding, das ich anstarre. Zehen. Klauen. »Sie lehren hier Evolutionsgeschichte, nicht wahr?«
Der Hauswart schüttelt bedächtig den Kopf. »Wir sind nicht religiös. Wir sind nur hier, um die Ausstellungsstücke zu erhalten.«
»Aber doch auch, um sie zu erklären …« Ich halte inne. »Darf ich mich umsehen?«, frage ich vorsichtig.
»Dazu ist das Museum ja da, Madame. Darf ich Ihnen jetzt den Mantel abnehmen?«
Den Rest des Tages und einen Teil des Abends verbringe ich damit, in den Gängen und Galerien des Museums herumzuschlendern, und komme mir dabei vor wie ein wissensdurstiges Gespenst, denn ich bin hier ganz allein, andere Besucher sind nicht da. Aber die Exponate sprechen zu mir – oder zu Juliettes Erinnerungen. Fast alle sind Skelette, zu Stein erstarrte Bauteile der Replikatoren von der Erde, schon vor langer Zeit sterilisiert und mit großem
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