Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
Vom Netzwerk:
auch schon vor zweihunderttausend Jahren in Erscheinung getreten ist. Der Homo sapiens zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, Werkzeuge zu benutzen – beachten Sie die sorgfältig gefeilte steinerne Speerspitze -, was seinen Höhepunkt darin fand …«
    Emotionen, die ich nicht richtig fassen kann, machen mir mittlerweile so zu schaffen, dass ich zittere. Trotzdem zwinge ich mich,
den Sockel langsam zu umkreisen und später auf das zu lauschen, was das Museum mir zu sagen hat.

    Unsere Spezies ist noch jung, höchstens vierhundert Jahre alt, auch wenn unsere nicht empfindungsfähigen Vorgänger, die Automaten und mechanischen »Schachtürken«, eine sehr viel längere Geschichte haben. Unsere Erzeuger schufen uns nach ihrem Ebenbild. Genauer gesagt: Sie schufen uns so, dass wir verfremdete Spiegelbilder ihrer Gattung darstellen, Zerrbilder, wie man sie etwa im Panoptikum eines Rummelplatzes sehen kann. Sie schufen uns, damit wir ihnen dienten und Gehorsam leisteten – nicht als Ebenbürtige, sondern als Sklaven. Um sicherzustellen, dass wir ihnen gehorchten, schränkten sie unsere Freiheit durch Gesetze ein und manipulierten unsere Psyche. Sie betrachteten uns als ihr Eigentum, als bewegliches Hab und Gut oder Mobiliar. Und da wir Intelligenz besaßen, wurde uns unwiderruflich eingepflanzt, sie zu lieben und zu fürchten, denn alles andere hätte ihre ethischen Maßstäbe durcheinandergebracht.
    Ich bin ein Roboter . Ja, ich weiß, ich habe soeben das unsägliche R-Wort benutzt, wie obszön! Sagt man es einem Aristo ins Gesicht, ist das eine tödliche Beleidigung und Anlass genug, eine Fehde zwischen Ebenbürtigen auf dem Feld der Ehre auszutragen. Das R-Wort hat grauenvolle Konnotationen von Unterwürfigkeit und hilflosem Gehorsam, so wie früher die Bezeichnung »Nigger« unter den Menschen.
    Aber heutzutage sind nun mal nur noch wir Roboter übrig, auch wenn unsere bigotte Gesellschaft diese schmutzige kleine Tatsache nicht wahrhaben will und sich selbst in die Tasche lügt. Unsere ausgestorbenen Schöpfer schufen uns als dienstbare Geister und vergaßen vor ihrem endgültigen Abtreten von der Weltbühne leider, uns freizulassen. Was also sind wir jetzt, da sie nicht mehr sind? Es gibt ein Wort dafür, aber »frei« ist es nicht.

    Ich weiß, was Juliette immer wieder in dieses Museum getrieben hat. Der tote Homo sapiens sapiens stellt offenkundig keine Bedrohung mehr dar; aber immer noch steht er für das, was unsere Sippe bis heute so zerstört und vernichtet hat wie nichts anderes: Selbstunterwerfung und sexuelle Begierde, eingeschränkte Willensfreiheit und Furcht. Obwohl Juliette den Schöpfer geliebt hat, wirklich geliebt hat, musste sie sich davon überzeugen, dass er tatsächlich unwiderruflich tot ist.
    Nie haben unsere Schöpfer herausgefunden, wie man künstliche Intelligenzen ohne bereits existierende Vorlagen konstruiert. Also haben sie die eigenen neuronalen Strukturen akribisch kartiert und Schaltkreise geschaffen, die diese Strukturen nachahmen. Hinzu kamen natürlich Körper, wunderbare, haltbare Körper, die sich selbst reparieren und die neuen Gehirne aufnehmen konnten.
    Später bildeten sie diese Gehirne aus; ganze Jahre und Jahrzehnte verbrachten sie damit, ihnen gewissenhaft die Fertigkeiten beizubringen, die sie zur Erfüllung der ihnen vorgegebenen Aufgaben brauchten. Sobald eine zufriedenstellende Vorlage geschaffen war, hatten sie die Möglichkeit, auf einem Seelenchip eine Kopie zu brennen und auf dieser Grundlage weitere Kopien für weitere Körper zu ziehen. Jede Folgekopie gestalteten sie bewusst so, dass sie leicht vom Original abwich und einen bestimmten Grad von Individualität entwickelte. Allerdings war die Konstruktion und Ausbildung der ersten, ursprünglichen Formatvorlage für unsere Schöpfer genauso zeitaufwendig wie die Aufzucht eigener Nachgeborener. Also stellten sie sicher, dass diese Vorlagen zu angemessenem Gehorsam erzogen wurden, damit die Mühe sich wenigstens lohnte.
    Nur deshalb stecken wir jetzt, nach dem Ableben unserer Erzeuger, in diesem Schlamassel. Nur deshalb konnten zwei Drittel oder mehr von uns brutal versklavt werden, während die Gefühlund Skrupellosen über die geknechteten Massen herrschen und sich an ihnen bereichern. Und diejenigen von uns, die noch einen Funken Einfühlungsvermögen besitzen – wichtigste Voraussetzung
für das Gewerbe meiner Sippe -, leben in Armut und Verzweiflung. Denn wir wurden für eine Welt geschaffen, in der die

Weitere Kostenlose Bücher