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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stross Charles
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Gedanken ist. Zwangsläufig stolpere ich über den Saum meines bodenlangen Kostüms und lande mit dem Kopf an der Schulter seines Gehrocks aus schwarzem Samt. Mir ist gar nicht bewusst, dass ich immer noch den Glaskelch umfasse, doch ehe etwas passieren kann, fängt er meine Hand ab. Ich blinzle, verblüfft darüber, dass er mich stützt. »Meine Güte, hallo«, sagt er mit schwachem Lächeln. »Ich muss mich entschuldigen …«
    »Tut mir leid …«, stottere ich. Als ich in die Augen hinter seiner Maske blicke und seine Haut rieche, steht die Zeit plötzlich still.

    Widerstrebend schlage ich die Augen auf. Ich bin in meinen eigenen Körper zurückgekehrt und sitze in der Aristokraten-Lounge der Aufzugsstation Barsoom. »Noch zehn Minuten bis zum Einsteigen, gnädige Frau«, sagt der schüchterne Bedienungsautomat und zieht sich wieder in die Nische an der Tür zurück. Ich nicke, zu müde, um an irgendetwas Anteil zu nehmen. Wem will ich eigentlich etwas vormachen? Mir selbst?, frage ich mich. Was ist mit mir los, dass ich Hals über Kopf nach Barsoom flüchte, bei jedem Zwischenstopp meine Kleidung, mein Gesicht und meinen Namen wechsle, ohne Aufmucken der Anweisung folge, mich mit einem seltsamen Auftraggeber auf Kallisto zu treffen – dazu noch mit einem, den ich nur flüchtig aus Erinnerungen zweiter Hand kenne? In der Zwischenzeit fällt mein wirkliches Leben auseinander, und ich bin selbst daran schuld, weil ich es völlig vernachlässigt habe. Wachsende Phasen der Funkstille beeinträchtigen die früher engen Beziehungen zu meinen Schwestern, und meine wenigen wahren Freunde sind über das ganze innere Sonnensystem verteilt … Auf Venus habe ich mich wie ein Schwachkopf verhalten, denke ich bitter. Die Reise zu Jupiter wird im besten Fall Monate dauern, vielleicht aber auch Jahre. Und wozu das alles? Ich weiß eigentlich gar nicht, was Jeeves vorhat, allerdings verfolgen mich beunruhigende Erinnerungen an gewisse politische Vorgänge. Und dann ist da auch noch jede Menge anderer ungereimter Dinge: Emma mit ihren schockierenden Enthüllungen über einen inneren Zirkel in unserer Schwesternschaft; Juliettes seltsame Erinnerungen an Mantel- und Degenspiele; Jeeves mit seiner Angst vor Infiltration; diese Leute der Schwarzen Klaue , die offenbar annehmen, ich besäße ein Teilchen dieses Puzzles…
    Mir ist kaum bewusst, dass ich meinen Mailbox-Dienst aufrufe und den nicht verschlüsselten Zugangscode eingebe. Freya Nakamichi-47 möchte reden. Kann mich jemand hören? Mir fällt ein, dass ich in zehn Minuten aufbrechen muss und dann nicht mehr erreichbar sein werde. Sechs neue Mails, drei davon mit angefügten Bilddateien, laden sich auf mein Notebook herunter.
Gleich darauf taucht eine rot markierte Warnmeldung auf: ACHTUNG, UNBEFUGTER BENUTZER. Wie bitte? BENUTZER-ID WURDE FÜR UNGÜLTIG ERKLÄRT. KAPITALGE-SELLSCHAFT Nr. 468724572013 HAT INFOLGE PRIVATER SCHULDFORDERUNGEN KONKURS ANGEMELDET … WIRD LIQUIDIERT … VERMÖGENSWERTE WERDEN EINGEZOGEN.
    Der Gerichtsbeschluss beschleunigt meinen Puls so, dass ich die Verbindung schlagartig trenne. Meine Haut ist vor Angst kalt und feucht. Was, in aller Welt …? Hastig gebe ich meinen gegenwärtigen Namen ein, aber er ist sauber. Zitternd stehe ich auf. Unsägliche Schreckensbilder tauchen vor mir auf. Private Schuldforderungen. Konkurs. Mein legaler Status ist aufgehoben. Jemand will mich in Besitz nehmen. Aber wer und warum? Wer will mir so etwas antun? Erneut läuft mir ein Schauer über den Rücken; die biomimetischen Reflexe gewinnen die Oberhand. Jemand will mich gewaltsam zu seinem Eigentum machen.

    Der Suborbitalflug dauert nicht lange: sechzig Sekunden Beschleunigung, dann fast viertausend Kilometer freier Fall, danach ein rhythmisches Hämmern, als die Geschwindigkeit gedrosselt wird, schließlich die Landung auf einem rußigen Betonfeld zehn Kilometer außerhalb von Barsoom. Es ist fast Mittag, und der lange Marssommer beginnt gerade, deshalb fahre ich nur die halbe Strecke mit der Untergrundbahn und gehe den restlichen Weg zu Fuß in die Stadt (besser gesagt: ich hüpfe). Ehe ich dort ankomme, wechsle ich erneut Kleidung und Identität, verwandle mich wieder in die Lebedame Kate.
    Barsoom ist eine Stadt am Arsch der Welt, umgeben von Atmosphäre erzeugenden Plantagen, Minen, in denen Erz abgebaut wird, und den Überresten eines riesigen, stillgelegten Terraform-Komplexes. Sie hat schon bessere Tage gesehen, genau wie die schäbige Absteige, in der

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