Die Kinder vom Teufelsmoor
erste sein, damit sie nicht erschrecken, dachte er, dann schlief er ein.
Kurz nach fünf, gerade tasteten die ersten Sonnenstrahlen durch das löcherige Dach, wachte er auf. Er brauchte nur wenige Augenblicke, um sich darüber klarzuwerden, wo und bei wem er sich befand. Leise erhob er sich, schob die Liege zur Seite und ging zum Schlafzimmer der Kinder hinüber.
Die waren alle noch im Heu vergraben und schliefen. Nur ein kleines Mädchen hatte die Augen geöffnet und blickte dem Mann genau ins Gesicht. Der nickte freundlich, sagte aber nichts und merkte rasch, daß die Kleine noch nicht völlig aus dem Schlaf emporgetaucht war und ihn für eine Traumgestalt hielt. Schon schloß sie wieder die Augen und schlief weiter.
Der Mann tastete sich behutsam auf die Diele zurück, schlüpfte in Schuhe und Jacke und entzündete eine Petroleumlampe. Er stellte sie auf die Herdmauer und drehte den Docht so hoch, daß die Lampe nicht flackte und nach allen Seiten ein ruhiges Licht warf. Dann schaute er sich gründlicher um als am Abend zuvor. Er sah die Kleider der Kinder rund um das Feuer verstreut und auf den Torfstapeln vor und hinter dem Tisch liegen, schmutzige Hosen, zerrissene Strümpfe, und gewann den Eindruck, daß sie alle, die da im Heu schliefen, für ein gutes Frühstück dankbar wären. So geräuschlos es ging, machte er Feuer, setzte einen Topf auf den Herd, goß aus einer großen Blechkanne Milch hinein und kramte auch Wurst, Butter und ein ganzes Brot aus dem Wagen. Er schnitt das Brot in Scheiben und bestrich sie mit Butter und Wurst. Als die Milch dampfte, nahm er sie vom Feuer und goß alle acht Tassen, die auf dem Tisch standen, voll. Auch seine eigene vergaß er nicht.
Jetzt müssen sie frühstücken, dachte er, sonst wird die Milch wieder kalt.
Aber die Kinder schliefen noch immer.
Da holte der Mann eine Ziehharmonika aus dem Wagen, setzte sich auf seinen Klappstuhl und begann leise zu spielen.
Davon erwachte Birgit, die längst nicht mehr fest schlief.
Sie lauschte eine Weile, stieß dann Walter an, der neben ihr lag, und flüsterte: »Hör mal, Walter, Musik!«
Walter gähnte, drehte sich um und wollte weiterschlafen. Birgit ließ ihn jedoch nicht.
»Musik, Walter!« rief sie. »Hör doch!«
Das weckte ihn schließlich. Er setzte sich auf, gähnte noch einmal und nahm endlich auch die Töne wahr, die von der Diele her zu ihnen hereinklangen.
»Das ist ein Radio«, sagte er, »ich hab' so was schon mal im Radio gehört. Da muß einer sein, der ein Radio hat!« »Wer ist da?« fragte Bodo, der auch schon halb wach gelegen hatte. »Ein Mann, der ein Radio hat«, antwortete Walter leise. »Pst! Sei nicht so laut, der will uns bestimmt holen!« Bodo horchte.
»Wenn uns einer holen will, macht er keine Musik«, flüsterte er. »Ich guck mal, wer es ist.« Vorsichtig stand er auf und schlich zur Tür. Birgit und Walter beobachteten ihn ängstlich. Nun wachte auch Ingelore auf und mit ihr der kleine Willy, der von dem Kaninchen geträumt zu haben schien, da er sofort »Munni, Munni!« rief und sich aufrappelte und nach dem Stallhasen Ausschau hielt.
Bodo legte an der Tür warnend den Finger auf den Mund. Willy verstand aber nicht, was das bedeuten sollte. Er stapfte kreischend auf den Handwagen zu, den er endlich entdeckt hatte und in dem, wie er sich erinnerte, das Kaninchen schlief. Weil er dabei über Rena, Berti und Rolf hinwegkroch, wurden auch die wach und lauschten bald, nachdem sie in die Wirklichkeit zurückgefunden hatten, ebenso erschrocken auf die Musik von nebenan wie ihre Geschwister. Bodo winkte ihnen zu, sie möchten kommen und sehen, was er sah. Von Neugier und Angst gleichermaßen getrieben, standen sie wenige Sekunden später alle in der Tür und beobachteten den Mann, der da auf einem Klappstuhl saß, Ziehharmonika spielte und sie noch gar nicht bemerkt zu haben schien. Sie sahen auch, daß das Feuer brannte und auf allen ihren Tellern Brote lagen. Die Petroleumlampe auf dem Herd und der große Kasten auf Rädern mit dem Kinderwagengriff an der Vorderseite entgingen ihren Augen ebenfalls nicht. Sie waren davon so überrascht, daß sie kein Wort sagten, sondern stumm dastanden und staunten. Willy allerdings, nachdem er, auf den Zehenspitzen stehend, vergeblich versucht hatte, das Kaninchen im Handwagen anzufassen, blieb nicht stumm. Er brüllte wütend »Munni, Munni« gegen den Wagen. Als das Tier sich dadurch nicht in seiner schläfrigen Trägheit stören ließ, rannte der
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