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Die Kinder vom Teufelsmoor

Die Kinder vom Teufelsmoor

Titel: Die Kinder vom Teufelsmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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Stahlbänder sich nicht richtig zwischen die Walzen einfädelte, die es strecken und dünner machen, dann mußte er eingreifen, die richtigen Tasten und Knöpfe drücken und den ›Hochreißer‹ zum Stehen bringen. Diese Arbeit verlangt nicht viel Körperkraft, aber große Konzentration und zwei gesunde Hände. Nun, Herr Früchtenicht konnte sich konzentrieren, und seine Hände waren gesund. Damals noch! Heute sind sie es nicht mehr. Gerade hatte er nämlich mit seiner Frau und den drei Kindern das schöne Haus bezogen, da brach die Katastrophe über die Familie herein. Herr Früchtenicht, wißt ihr, hatte bei einem Freund Geburtstag gefeiert und mehr Bier und Schnaps getrunken, als er vertragen konnte. Als er sich in der Nacht verabschiedete und die steile Treppe in der Wohnung seines Freundes hinunterging, stürzte er und fiel durch die Scheibe der Haustür. Dabei zerschnitt er sich die Sehnen der rechten Hand. Zwar wurde er sofort ins Krankenhaus gebracht und operiert, die Sehnen wurden zusammengenäht, aber selbst nachdem die Wunde verheilt war, konnte er die Hand nicht mehr richtig bewegen. Sie hängt seitdem starr und steif am Unterarm. Die Arbeit an der Walzstraße konnte er mit dieser Hand natürlich nicht mehr ausüben. Er verlor seinen guten Posten und verdient nun viel weniger als vorher. Tja, und so wohnen die Früchtenichts zwar in einem schönen Haus, können sich aber kaum sattessen, weil jeden Monat eine hohe Rate dafür bezahlt werden muß. Darum, meine ich, sollten wir ihnen das bißchen, was sie haben, nicht noch wegnehmen, oder?« »Nee«, rief Berti, »das wäre 'ne große Gemeinheit!« »Warum verkaufen sie ihr Haus nicht und nehmen sich irgendwo eine billige Wohnung?« fragte Rolf. Hannes zuckte die Schultern.
    »Sie mögen nicht«, sagte er, »sie hängen dran. Und ich kann sie auch verstehen. Hier leben sie mitten in der Natur und hören keinen Straßenlärm oder Krach von Maschinen. Vor allen Dingen aber können sie in ihrem Haus tun und lassen, was sie wollen. Kein Nachbar oder Vermieter beschwert sich, weil die Kinder zu laut oder zu wild sind.«
    »Da ist was dran«, stimmte Rolf zu. »Bei uns zu Hause gibt es immer Stunk, wenn wir mal 'n bißchen auf 'n Putz kloppen! Die doofe Lattich reißt das Maul auf und meckert uns an, und der lange Hüneback, dieser giftige Bürohengst, quatscht immer was von Polizei. Einmal hat er mich sogar mit dem Luftgewehr bedroht. Am liebsten würde ich dem mal einen vergifteten Pfeil aufs Fell brennen, dann krepiert er wie 'n Indianer auf dem Kriegspfad.«
    »Das wäre aber wohl auch keine dauerhafte Lösung«, sagte Hannes. »Die Hünebacks sind nämlich nicht umzubringen. Hast du einen erledigt, taucht prompt der nächste auf und schnauzt dich zusammen.« »Bei uns in der Straße gibt's aber nur den einen Hüneback!« sagte Berti. Hannes winkte ab.
    »Der Name ist ohne Bedeutung. In jedem Menschen ist ein Hüneback verborgen, der wild wird, wenn er sich gestört fühlt. Ich kann mir denken, daß ich auch aus der Haut fahren würde, wenn ich in meinem Zimmer säße, um etwas zu schreiben oder so, und acht Kinder, wie ihr es seid, oder noch mehr den ganzen Tag vor meinem Haus herumlärmten. Von der Seite müßt ihr die Sache nämlich auch mal sehen. Natürlich müssen Kinder Krach machen und herumtollen, weil das zu ihrem Leben gehört, aber ebenso natürlich müssen auch Erwachsene das tun dürfen, was zu ihrem Leben gehört! Und Erwachsene lieben nun mal die Ruhe mehr als den Lärm.« »Ruhe ist doch großer Mist!« rief Bodo. »Wer tot ist, hat Ruhe von morgens bis abends. Wenn ich groß bin, mach ich genausoviel Krach wie jetzt, das ist mal sicher. Ich häng' mir ein paar Radios an die Wand und überall Lautsprecher, und dann donner' ich die Musik nur so durch die Gegend!« Rolf spuckte aus.
    »Dann zieh aber gleich in die Wüste, du«, sagte er, »sonst kriegste viel Ärger mit deinen lieben Mitmenschen!«
    Sie wanderten weiter.
    Berti schaute sich im Vorübergehen das Haus der Früchtenichts genau an. »Ich wäre nie darauf gekommen«, sagte er, »daß in einem so tollen Haus so arme Leute wohnen.«
    »Wie war's denn mit dem Haus da drüben?« fragte Rolf zehn Minuten später. »Das sieht auch nicht schlecht aus!« Hannes schüttelte den Kopf.
    »Kein lohnendes Objekt für uns. Da leben zwei alte Damen, die gerade soviel haben, daß sie nicht verhungern. Die eine ist seit Jahren krank und muß im Bett liegen, und die andere versorgt und pflegt sie.

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