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Die Kinder vom Teufelsmoor

Die Kinder vom Teufelsmoor

Titel: Die Kinder vom Teufelsmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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weniger Minuten stand es in hellen Flammen. Der Junge lag im Schlafzimmer seiner Eltern in einem Kinderbett. Über ihm hing eine eiserne Deckenlampe, die in der Hitze des Feuers glühendrot wurde, herabfiel und ihm zwei große Halbmonde auf den Rücken brannte. Der Junge erlitt dadurch einen solchen Schock, daß er den Verstand verlor. Er ist durchgedreht, sagten die Leute. Seine Eltern fingen bald an, sich seiner zu schämen, wenn er sich so dumm anstellte und die einfachsten Dinge nicht begriff. Sie schickten ihn zwar auf die Schule, aber dort lernte er nicht viel. Alles, was er hörte, vergaß er sofort wieder. Auch den Spott der andern Kinder in seiner Klasse nahm er kaum wahr. Es schien, als ginge ihn die Welt überhaupt nichts an. Das furchtbare Erlebnis seiner frühen Kindheit stand wie eine Wand vor ihm und verdeckte alles, was dahinter war.
    Der Lehrer in der einklassigen Dorfschule behandelte ihn freundlich, ließ ihn während seiner achtjährigen Schulzeit so mitlaufen und verlangte nichts von ihm. Der Junge brauchte nicht zu lesen, nicht zu rechnen und nicht zu schreiben. Er saß nur da in seiner Bank und schaute mit stumpfem Blick vor sich hin, als sähe er Bilder, die für einen geistig gesunden Menschen unsichtbar sind. Einmal aber, ein einziges Mal, nahm er Anteil an dem, was in der Klasse geschah. Und das war an dem Tage, als der Lehrer etwas von den Moorleichen erzählte.
    Das Moor war dem Jungen vertraut. Er saß nachmittags oft stundenlang am Rande des offenen Wassers, mit einem Zweig in der Hand oder einer Blume, und starrte auf die spiegelnde Fläche, auf das Wollgras und die hin und her zuckenden Libellen. Auch Torf war ihm nicht fremd. Seine Eltern und alle Nachbarn waren ja Torfbauern. Sie stachen mit langen Grabmessern die braunen Soden, brachten sie mit dem Kahn nach Bremen oder Vegesack und verkauften sie dort. Moor und Torf waren seine Welt. Daran muß es gelegen haben, daß er dem Bericht über die Leichen, die im Moor versenkt worden waren und später aus dem Torf herausgegraben wurden, so aufmerksam folgte.
    Der Lehrer bemerkte die Anteilnahme des Jungen. Er sprach mit seinen Eltern darüber und sagte ihnen, daß eines Tages vielleicht doch noch alles gut werden könne, dann nämlich, wenn der Junge durch ein tiefgreifendes Erlebnis aus seiner Versunkenheit gerissen werde, wie es heute geschehen sei.
    Als der Lehrer mit den Schülern nach Bremen fuhr, um ihnen im Überseemuseum die beiden Moorleichen, die dort in gläsernen Kästen lagen, zu zeigen, durfte der Junge mit. Er stand und schaute und konnte sich nicht losreißen von dem Anblick. Wochen später kreisten seine Gedanken immer noch um die Moorleichen.
    Als er vierzehn Jahre alt war und die Schule verlassen mußte, gaben ihn die Eltern zu einem Schäfer in die Heide, einem wortlosen Mann, der die Tage schweigend inmitten seiner Schafe verbrachte und Strümpfe strickte. Der war einverstanden, daß der Junge ihm Gesellschaft leistete, auch wenn er stumm war. Er lehrte ihn das Stricken, was der Junge überraschend schnell begriff, und das Scheren der Schafe. Abends unterhielt er sich im Schäferkarren mit ihm, indem er sprach und der Junge zuhörte. Das wenige Geld, das er ihm bezahlte, drei Mark im Monat, legte er in ein kleines Kästchen, das unverschlossen auf dem Wandbrett stand. So vergingen sechs Jahre.
    Die Schafe fraßen, blökten, wurden geschoren. Der Hund bellte und hielt sie beieinander, und der Schäfer strickte seine Strümpfe. Nichts ereignete sich, was es wert wäre, hier erzählt zu werden. Der Junge wuchs und wurde ein kräftiger Mann, blieb aber geistig ein Kind. Da erinnerte er sich eines Tages ganz unerwartet und plötzlich, so, als habe ihn der Blitz getroffen, an die Moorleichen und an das, was der Lehrer fast zehn Jahre vorher darüber erzählt hatte! Er stand minutenlang regungslos und starrte auf den Strickstrumpf in seiner Hand. Dann wandte er sich ab von den Schafen, wurde merkwürdig unruhig, kletterte wie unter einem inneren Zwang in den Schäferkarren, schüttete sein Geld aus dem Kästchen in die Jackentasche, ließ den Strumpf fallen und wanderte durch die Heide bis zur Haltestelle der Kleinbahn.
    Obwohl er nie allein mit dem Zug gereist war, verstand er es, sich eine Karte zu kaufen und in die Stadt zu fahren, nach Bremen. Als würde er von unsichtbaren Fäden gezogen und hätte keinen eigenen Willen, so stapfte er in seinem Schäferanzug zum Überseemuseum, hastete die Treppe hinauf und stellte

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