Die Kinder von Alpha Centauri
Jersey liegt auf dem
kürzesten Weg. Jay und ich könnten gemeinsam ein Taxi nehmen.«
Bernard stand auf.
»Sicher ... lassen Sie sich nicht aufhalten, wenn Sie zu tun haben.
Danke für die Rückgabe der Schneidemaschine.« Er drehte den Kopf zum Eßraum und
rief: »He, wollt ihr euch von Jerry verabschieden? Er geht.« Pernak und Jay
warteten an der Tür auf Jeans und Maries Erscheinen.
»Schon wieder unterwegs?« sagte Marie zu Pernak.
»Von allein geht nichts. Ich mache mit Jay in Jersey Halt, um mir seine
Lok anzusehen.«
»Ach, diese Lokomotive!« Jean blickte Jay an. »Arbeitest du schon wieder
dran?«
»Ein paar Stunden, vielleicht.«
»Sieh zu, daß es diesmal nicht wieder die halbe Nacht wird, ja?« Sie
wandte sich wieder an Pernak. »Passen Sie gut auf sich auf, Jerry. Grüßen Sie
Eve und richten Sie ihr aus, es wäre an der Zeit, daß wir uns wieder einmal zum
Abendessen treffen. Nach der Sonntagskirche sagte sie, sie würde mich deshalb
anrufen, aber ich habe nichts gehört.«
»Ich erinnere sie«, versprach Pernak. »Fertig,Jay? Gehen wir.«
Pernak hatte kurze, kohlschwarze Haare, war breit und fest gebaut und
besaß sehr bewegliche Gesichtszüge, deren Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten Jay
immer wieder erstaunte. Er hatte in Jays Schule mehrmals Vorträge über Physik
gehalten und sich beliebt gemacht ebensosehr als Unterhalter wie als ein des
Themas Kundiger, das er stets erregend darzustellen verstand, mit verlockenden
Einblicken in Schwarze Löcher, mit staunenswerten Berichten über die ersten
Minuten des Alls und phantastischen Spekulationen über das Leben in gekrümmten
Raum-Zeit-Kontinua mit ungewöhnlichen Geometrien. Bei einer Gelegenheit hatte
er Freymnan-Diagramme gezeigt, die Partikel als »Weltlinien« durch eine
zweidimensionale Sphäre darstellten, eine Achse für den Raum, die andere für
die Zeit. Mathematisch und theoretisch war ein Partikel, das sich in der Zeit
vorwärtsbewegte, von seinem Antipartikel, das in der Zeit rückwärtslief, nicht
zu unterscheiden, und Pernak hatte die verblüffende Vermutung aufgestellt, es
könnte im ganzen Universum nur ein einziges Elektron geben, das sich unablässig
wiederholte, indem es als Elektron vorwärts und als Positron rückwärts ging.
Zumindest würde das, wie Pernak betont hatte, erklären, warum sie alle
dieselbe Ladung und Masse aufwiesen, etwas, was bisher noch niemand hatte
besser erklären können.
Pernak machte für seine Größe ungewöhnlich lange Schritte, und Jay mußte
sich beeilen, als sie ein paar Straßenzüge weit durch dichtgedrängte, aber
einfallsreich abgeschirmte, ineinander verschachtelte Terrassenzeilen des
Wohnbereichs Maryland gingen. Es dauerte nicht lange, bis Pernak von
Phasenumwandlungen in den physikalischen Gesetzen und ihrer Manifestierung
durch den Prozeß der Evolution sprach. Zu den angenehmen Dingen bei Pernak
gehörte nach Jays Meinung, daß er beim Thema blieb und es nicht mit
moralisierenden und unverlangten Erwachsenenratschlägen befrachtete. Jay war
sich nie darüber klargeworden, ob Pernak insgeheim solchen Dingen skeptisch
gegenüberstand oder es nur für angebracht hielt, sich um seine eigenen
Angelegenheiten zu kümmern, aber er hatte nie einen Anlaß gefunden, die Frage
anzuschneiden.
Sie erreichten die Kapsel-Aufnahmestation und betraten die Plattform, wo
schon vier oder fünf Leute warteten, darunter zwei Nachbarn, die Jay zunickten.
Die nächste Kapsel rund um den Ring war in gut einer Minute fällig. Sie blieben
vor einem Wahlplakat mit der strengen, aristokratischen Gestalt Howard Kalens'
stehen, der wie ein gütiger, aber ferner Gott schützend auf den Planeten Chiron
hinabblickte. Die Unterschrift lautete schlicht: FRIEDE UND EINHEIT.
»Stell dir das vor wie die Phasenumwandlungen, die Übergänge
zwischen festen, flüssigen und gasförmigen Stoffen bezeichnen«, sagte
Pernak. »Die Gas-Gesetze gelten nur für einen bestimmten Bereich. Wenn du
versuchst, sie zu weit fortzuspinnen, kommst du zu unsinnigen Ergebnissen,
etwa, daß das Volumen auf Null zurückgeht oder Ähnliches. In Wirklichkeit
geschieht das nicht, weil das Gas vorher flüssig wird und ein qualitativ
anderes Verhalten mit eigenen neuen Regeln einsetzt.«
»Sie wollen sagen, daß die Evolution auf eine Folge solcher Übergänge
hinausläuft?«
»Ja, Jay. Die Evolution ist ein fortlaufender Prozeß stärker geordneter
und komplizierter Systeme, die sich in einer Reihe aufeinanderfolgender Phasen
aus
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