Die Kinder von Alpha Centauri
Lechat geendet hatte. »Von den anderen Dingen, die hier oben beschrieben
werden, funktioniert auch nichts. Sie haben noch nicht begriffen, daß nichts im
Bereich ihrer Erfahrung für Chiron gilt. Das ist eine völlig neue Erscheinung
mit ganz neuen Regeln.«
»Wie meinen Sie das, Jerry?« fragte Lechat. Er war ein schmächtig
gebauter Mann, mittelgroß, Ende Vierzig, mit schütterem Haar und einer
trockenen, rosigen Haut. Seine Nase rötete sich ebenso wie die Wangen sehr
schnell, so daß viele ihn für jähzornig hielten, was aber nicht zutraf.
Pernak hob die Hand und sah den anderen an.
»Wir haben immer wieder darüber gesprochen, daß die Gesellschaft
Phasenumwandlungen erlebt, die neue Epochen der Sozialentwicklung einleiten«,
sagte er. »Genau das ist dort unten geschehen. Sie können keine unserer Regeln
auf diese Kultur anwenden. Sie gelten nicht. Auf Chiron sind sie ohne Wirkung.«
Lechat reagierte nicht sofort. Eve Verritty schmückte noch aus.
»Seit über drei Jahrhunderten bemühen wir uns, alte Ideen über die
Verteilung von Besitz mit der neuen Wirkung der Hochtechnologie in Einklang zu
bringen. Das Problem hat immer darin bestanden, daß traditionelle
Prägungsprozesse, die Menschen zu veranlassen, daß sie die Unausweichlichkeit
endlicher Ressourcen akzeptieren, von einer Generation zur nächsten als der
Weisheit letzter Schluß weitergegeben wurden, bis sie als absolute Wahrheiten
erschienen. Reichtum war stets etwas, worum man konkurrieren und kämpfen
mußte. Als Sklaven und Land aus der Mode kamen, weil die Technologie zur
Hauptquelle des Reichtums wurde, kämpften wir darum wie vorher um alles andere,
und jedermann glaubte, das sei unausweichlich und natürlich. Man konnte die
alten Theorien von den neuen Fakten nicht trennen.« Eve trank einen Schluck
Wein. »Die Chironer sind aber nicht mit dieser Art Gehirnwäsche aufgewachsen.
Sie haben einen neuen Anfang gemacht, umgeben von Wissenschaft und
fortgeschrittener Technik, die als selbstverständlich galten, und sie
erkennen, daß neue Technologien neue Ressourcen hervorbringen ... ohne
Begrenzung.«
Lechat blickte nachdenklich auf seinen Teller.
»Das hört sich so an, als wären sie alle Millionäre«, sagte er.
»Genau das sind sie«, erwiderte Pernak. »Jedenfalls im materiellen
Sinn. Deshalb bedeutet Besitz für sie keine Rangordnung - sie besagt nichts.
Deshalb findet man da unten auch keine eindeutigen Führer.«
»Wieso?« fragte Lechat verwirrt.
»Warum folgen Menschen Führern?« gab Pernak zurück. »Der kollektiven
Stärke wegen. Wozu braucht man die? Stärke beherrscht am Ende den Reichtum und
verfügt Ideen. Aber warum braucht eine Rasse von Millionären Führer, wenn sie
schon allen materiellen Besitz hat und gar kein Interesse dafür aufbringt, irgend
jemandem Ideen aufzuerlegen, weil man ihnen das nie beigebracht hat? Die
Chironer tun es nicht. Man kann ihnen mit nichts drohen. Sie werden da unten
keine Kreuzzüge auslösen, weil man nicht darauf achten wird.«
Lechat dachte nach. Er hatte schon ähnliche Gedanken gehabt, konnte aber
trotzdem nicht klar die Vorstellung erfassen, daß eine fortgeschrittene Kultur
selbst ohne Neigung zu Verteidigungsanstrengungen lebensfähig bleiben konnte,
ohne dem Versuch irgendwelche Zügel anzulegen. Das verstieß gegen jedes
Prinzip, das ihm in seinem Leben eingegeben worden war.
Während er darüber nachdachte, fielen ihm Eves Worte über die
Gehirnwäsche ein. Er war bereit, zuzugeben, daß er dieselben Prozesse
durchlaufen hatte wie alle anderen. Das mochte der Grund dafür sein, warum er
innerlich nicht fähig war, Reichtum und Rang von materiellem Besitz zu trennen.
Aber selbst wenn eine entsprechend entwickelte Gesellschaft Besitz in solcher
Fülle anbieten konnte, daß ihre Beschränkung sinnlos wurde, lief das doch noch
nicht auf grenzenlosen Reichtum hinaus. Der bloße Begriff war ein Widerspruch
in sich, denn »Reichtum« bedeutete der Definition nach etwas, das in hohem Wert
stand und nur begrenzt verfügbar war. Mit anderen Worten: Wenn auf Chiron Besitz
nicht dem Reichtum entsprach und damit den allgemeinen menschlichen Drang danach,
als Erfolg zu gelten befriedigte, was trat dann an seine Stelle?
»Bis zu einem gewissen Punkt kann ich Sie verstehen«, sagte Pernak
schließlich. »Die Leute sammeln Besitz aber auch dann noch an, wenn er
materielle Zwecke nicht mehr erfüllt, weil sie auch Anerkennungsbedürfnisse
befriedigen wollen.«
»Das ist sehr wahr«,
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