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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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gewesen war, war plötzlich auf der Seite. Die Wand war zum Fußboden geworden, glitschig und glatt. Siggi packte nach irgendwelchen Kanten, bekam eine zu fassen, krallte sich daran. Seine Beine schwangen frei. Steine prasselten in die Tiefe.
    »Hilfe!«, schrie Gunhild von unten. »Ich rutsche …«
    Mit den Turnschuhen ertasteten Siggis Füße ein Felsband, das vorher nicht da gewesen war. Er blickte nach oben, das heißt: nach vorn. Das Ende des Gangs war nur wenige Meter vor ihm.
    »Ich kann mich nicht mehr halten!«, rief Gunhild.
    Siggi holte tief Luft und tauchte hinab in die lichtlose Tiefe. »Gunni! Wo steckst du?«
    Das Gesicht seiner Schwester: ein hellerer Fleck, ein, zwei Armlängen unter ihm. »Gib mir die Hand!« Er streckte den Arm aus, so weit er konnte. Ihre Finger berührten sich, aber er bekam sie nicht zu fassen. »Warte!« Er nestelte an der Schnalle seines Umhangs. Sie gab nicht nach. »Verdammt!« Er riss sie los. Sie fiel in die Tiefe, schlug mit einem hellen Klang gegen die Wände, hinab, außer Sicht. »Hier, pack den Mantel!«
    Gunhild griff danach wie eine Ertrinkende nach dem rettenden Seil. Sie hängte ihr ganzes Gewicht daran. Siggi kam wieder ins Rutschen. »Hagen! Verdammt noch mal, wo bleibst du?«
    »Ich bin hier. Ich halte dich.« Eine Hand packte seinen Kittel. Ein Gegengewicht in seinem Rücken brachte seinen beginnenden Sturz zum Halt.
    Zwei, drei Herzschläge lang hingen sie so zwischen Ruhe und freiem Fall. Dann ging erneut ein Knirschen durch den Fels, der Schwerpunkt verlagerte sich erneut, und sie kamen ins Rutschen, alle drei. Haltlos schlitterten sie über den glatten Boden, und dann umgab sie plötzlich Licht, als der Felsenschlund sie ins Freie spie.
    Hinter ihnen schloss sich der Gang.
    »Das war knapp!«, keuchte Siggi.
    Aber Hagen sagte: »Es ist noch nicht vorbei.«
    Rings um sie her tanzte der Fels. Es war eine Landschaft wie nach einem Lava-Ausbruch, von Felsen übersät, nur dass die Bruchstücke nicht still lagen, sondern auf und nieder sprangen. Es war, als spielten Riesen mit ihnen Würfel. Und etwas kam aus der Tiefe des Felsens ans Licht, unaufhaltsam und gewaltig, etwas Großes, Weißes: eine schlangenhafte Form, die aus dem Dunkel ans Licht strebte …
    Und dann zerplatzte die Kuppel von Caer Siddi, zersplitterte wie die Schale eines Eies, und aus ihr wand sich gewaltig, geschuppt, gehörnt der Letzte seiner Art. Hoch reckte sich das mächtige Haupt, der gigantische Leib, und strahlend weiß brach es hervor, blendete den Himmel aus, als der Drache seine Schwingen entfaltete, riesigen Segeln gleich, in denen der Wind sich fing, der aus dem Abgrund heraufwehte.
    »Weg hier!«, schrie Hagen.
    Aber wohin sollten sie sich wenden? Ringsum war das Land in Bewegung. Überall öffneten sich Spalten und Schründe, kochte die Erde. Es gab keinen Ausweg. Wohin kann man noch fliehen, wenn man bereits das Ende der Welt erreicht hat?
    Der geschuppte Hals des Drachen schwang herum. Eine ungeheure, unbändige Kraft steckte in dieser Bewegung. Seine Schuppen glänzten, schimmernd wie Perlmutt, neu wie die Haut einer Schlange, die soeben dem Ei entschlüpft ist.
    Der Drache öffnete seinen Rachen. Im Schlund, jenseits der riesigen, gefährlich spitzen Zähne, loderte das Feuer, aus dem die Welt entstanden war, die Glut des Anbeginns, aus einer Zeit, als selbst die Götter noch nicht geboren waren. Nichts und niemand konnte dieser Lohe widerstehen.
    Langsam glitten die großen Augen auf. Hinter den geschlitzten Pupillen glomm eine uralte Bosheit, Tücke … und Weisheit.
    »Wohl getroffen« , fauchte der Drache mit einer geschmeidigen Stimme. »Worauf wartet ihr? Steigt auf meinen Rücken. Ich bringe euch heim – nach Avalon.«



12.
Die Einhornquelle
    »Er meint das ernst!«, sagte Siggi.
    Sie starrten zu dem riesigen weißen Drachen hinauf, der über ihnen emporragte. Mit seinen gewaltigen Flügeln, die sich blähten wie Segel in der Morgenbrise, hielt er die Balance auf dem schwankenden Grund. Den Kopf hielt er gesenkt; der lange, schlangenförmige Hals und die mit bizarr geformten Panzerplatten bedeckte Schulter bildeten eine Art Leiter, die sich relativ mühelos ersteigen ließ, wenn man nur den Mut dazu hatte.
    »Nur Mut!«, fauchte der Drache und entblößte die dolchlangen, messerspitzen Zähne, dass es fast aussah wie ein Grinsen.
    Siggi nahm die Herausforderung an. Er setzte den Fuß auf den Hals des Drachen und stieg hinauf. Der Hals gab unter seinem Gewicht

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