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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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erzählt. Was ist mit dem –«
    Aber es war schon zu spät. Sie betraten die Kapelle.
    Der kleine Raum war genau so, wie Hagen und Siggi ihn in Erinnerung hatten. Nur dass die Wände nicht gemauert, sondern aus dem lebenden Fels herausgemeißelt worden waren. Auch der Tisch in der Mitte war nicht aus Holz, sondern aus Stein, und er war nicht geborsten, sondern heil und ganz. Doch der größte Unterschied lag in dem, was sich jenseits der zerbrochenen Fenster zeigte. Denn dort herrschte nicht das matte Licht eines englischen Sommertages, sondern das Flackern der Finsternis von Annwn.
    Gunhild, die dies alles noch nicht kannte, blickte sich voll Staunen um. »Wo sind wir hier? Und wer ist das?«
    Sie wies auf die Stele im Hintergrund des Raumes. Dort schimmerte etwas, ein Bild, eine Art Mosaik aus vielen einzelnen flimmernden Punkten. Ja, es war fast so, als könnte man noch die Spur ihrer Bewegung verfolgen, als hätten sich die einzelnen Teile soeben erst zu einem Bild zusammengefügt. Es zeigte einen Mann in einer fantastischen Rüstung, die nur Kopf und Hände freiließ. Er kniete, die Hände zum Gebet gefaltet. Vor ihm schwebte eine Art Engel, der ihm die offenen Hände entgegenhielt. Sie waren leer. Der Ritter hatte sein Gesicht nach oben gewandt; in seinen Zügen war Hoffnung zu lesen.
    »Das ist anders als in dem Tempel, den ich kenne«, sagte Hagen. »Dort trägt der Engel einen Kelch … den Gral.«
    »Dann ist es nun Zeit, dass der Gral erscheint«, sprach der Alte. »Nehmt eure Plätze ein.«
    »Aber wo …«, begann Hagen, doch Siggi drängte sich bereits an ihm vorbei. Mit festen Schritten ging er auf das obere Ende des Tisches zu, unmittelbar vor dem Altar.
    »Ich glaube, mein Platz ist hier«, sagte er. »Hier sitzt der König mit dem Schwert.« Er legte die schimmernde Klinge vor sich auf den steinernen Tisch. Sie glühte wie aus einem inneren Feuer heraus.
    »Dann ist mein Platz wohl hier«, meinte Hagen und setzte sich an die linke Seite, »als Ritter des Königs.« Er pflanzte den Speer neben sich auf, die Rechte um den grünen Schaft gelegt. Das Licht glitt über die Klinge und ließ sie verblassen, als wäre sie nicht aus Metall, sondern aus Luft gemacht.
    Gunhilds Blick ging von ihrem Bruder zu dem Mosaik über ihm. Die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen: das goldene Haar, der offene Blick. Und dennoch war dies nicht einfach ein Abbild Siggis; es lag auch etwas von Hagen in den Zügen dieses Ritters, ja, sogar etwas von dem Alten an ihrer Seite und von dem schlafenden König in der Krypta von Avalon.
    Ihr Bruder und ihr Freund hatten ihre Plätze eingenommen, als wäre dies für sie ein vertrautes Ritual: Siggi im Osten, Hagen im Norden. Sie aber wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Der Sitz vor ihr, der des Westens, hatte etwas Verlockendes. Aber dann gab sie sich einen Ruck.
    »Die Königin gehört an die Seite des Königs«, sagte sie, »und sie sollte dem Ritter in die Augen sehen.« Sie ging zur rechten Seite des Tisches, Hagen gegenüber, und setzte sich. Dann löste sie, nach einem fast unmerklichen Zögern, den Stein von der Kette. In ihren geöffneten, zu einer Schale geformten Händen lag er wie ein Stück der Erde selbst, Wärme verströmend in Braun und Gold.
    »So bleibt für mich«, sagte der Alte, »den Gralssucher, nur der gefährliche Sitz.« Er trat heran; sein Gewand floss wie Wasser. In seinen Augen schimmerte meergrün das alte Wissen der Kinder der Großen Göttin. »Und meine Hände sind leer, wie sie es immer gewesen sind.«
    Vor ihm auf dem steinernen Tisch stand der Kelch.
    Er war einfach da. Vielleicht war er schon immer da gewesen, und sie hatten ihn nur nicht gesehen; vielleicht war er auch gerade in diesem Moment erst dort erschienen, als der Kreis sich geschlossen hatte. Das Licht rann an seiner geschwungenen Form hinab, der Spur der Henkel folgend, und die fein getriebenen Ornamente und die Edelsteine, mit denen er besetzt war, fingen den Glanz der Elemente ein. Alles Licht konzentrierte sich auf die Stelle, wo Schale und Fuß sich trafen.
    »Unser Kelch«, sagte Hagen. »Der Kelch von Camelot Hall. Ich kenne ihn genau, bis in die kleinste Verzierung. Wie kommt er hierher? Aber … das brauche ich wohl gar nicht zu fragen. Wer immer ihn gestohlen hat, hat ihn hierher gebracht.«
    »Dann ist das …«, begann Siggi staunend, führte den Satz aber nicht zu Ende. Der Gral, hatte er sagen wollen, aber er spürte selbst, dass dies noch nicht alles war. Etwas

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