Die Kinder Von Eden : Roman
eingeschlagenen Fenstern und tristen Höfen voller Paletten, Reifen und Autowracks gesäumt wurden.
»Das ist ja Spitze«, sagte Priest. »Nur eine halbe Stunde von Felicitas entfernt. Außerdem interessiert sich hier kein Aas für seine Nachbarn.«
An einigen Gebäuden hatten optimistische Immobilienmakler ihre Schilder angebracht. Melanie gab sich als Priests Sekretärin aus, rief die Nummer an, die auf einem der Schilder stand, und erkundigte sich, ob ein Lagerhaus zu vermieten sei, möglichst günstig, ungefähr vierhundert Quadratmeter groß.
Ein eilfertiger junger Makler kam ins Industrieviertel gefahren, um sich mit Priest und Melanie zu treffen. Er zeigte ihnen eine heruntergekommene Bruchbude aus Schlackenstein; im Wellblechdach klafften Löcher, und über der Tür hing eine ramponierte Aufschrift, die Melanie als »Perpetua Diaries« entzifferte. Die Halle bot reichlich Platz für den seismischen Vibrator. Angeschlossen waren eine Toilette und ein Waschraum in betriebsfähigem Zustand sowie ein kleines Büro mit Herdplatte und ein großer alter Zenith-Fernseher, den der vorherige Mieter zurückgelassen hatte.
Priest erklärte dem Makler, er brauche einen Platz, wo er etwa einen Monat lang Weinfässer lagern könne. Dem Mann war es vollkommen egal, was Priest mit dem Lagerhaus anfangen wollte. Er war nur froh, die Miete für die baufällige Lagerhalle kassieren zu können, und versprach, bis zum kommenden Tag für den Anschluß von Wasser und Strom zu sorgen. Priest zahlte ihm die Miete für vier Wochen bar im voraus. Das Geld stammte aus dem Geheimversteck in seiner alten Gitarre.
Der Makler strahlte, als hätte er einen Glückstag. Er gab Melanie die Schlüssel, schüttelte den neuen Mietern die Hände und machte, daß er davonkam, bevor Priest es sich anders überlegen konnte.
Priest und Melanie fuhren zurück ins Silver River Valley.
Am Donnerstagabend nahm Judy Maddox ein Bad. Während sie in der Wanne lag, dachte sie an das Erdbeben von Santa Rosa zurück, das ihr so schreckliche Angst eingejagt hatte. Damals war sie noch Schülerin der ersten Klasse gewesen, doch die Erinnerung war so lebendig, als wäre alles erst gestern geschehen. Nichts konnte entsetzlicher sein als die Erfahrung, daß der Boden unter den Füßen plötzlich nicht mehr fest und unverrückbar, sondern trügerisch und tödlich ist. Manchmal, in ruhigen Augenblicken, sah Judy alptraumhafte Bilder von Hunderten Autowracks, einstürzenden Brücken, zusammenbrechenden Gebäuden, Feuer und Flut – doch keines dieser Bilder war für sie so schrecklich wie die Erinnerung an das Entsetzen, das sie im Alter von sechs Jahren durchgemacht hatte.
Sie wusch sich das Haar und verdrängte die Erinnerungen. Dann packte sie eine Reisetasche und fuhr um zehn Uhr abends zurück zum Offiziersclub.
In der Kommandozentrale des Krisenstabes war es ruhig, doch es herrschte eine gespannte Atmosphäre. Noch immer wußte niemand mit Sicherheit, ob die Kinder von Eden tatsächlich ein Erdbeben auslösen konnten. Doch seit Al Honeymoon von Ricky Granger mit vorgehaltener Waffe aus der Tiefgarage der Kapitols entführt und am Straßenrand der I-8o aus dem Wagen geschmissen worden war, herrschte Einmütigkeit darüber, daß hinter den Terroristendrohungen tödlicher Ernst steckte.
Im alten Ballsaal befanden sich mittlerweile mehr als einhundert Personen. Der leitende Beamte vor Ort war Stuart Cleever, das hohe Tier, das am Dienstagabend von Washington aus eingeflogen war. Ungeachtet der Anweisungen Honeymoons kam es für das FBI nicht in Frage, einer niederrangigen Agentin bei einem so bedeutenden Fall die Gesamtverantwortung zu überlassen. Judy wollte sie auch gar nicht; außerdem war nie die Rede davon gewesen. Doch immerhin hatte sie dafür sorgen können, daß weder Brian Kincaid noch Marvin Hayes unmittelbar an der Aufklärung des Falles beteiligt waren.
Judys offizieller Titel lautete ›Koordinatorin für Ermittlungseinsätze‹, was ihr alle Befugnisse verschaffte, die sie brauchte. Außerdem gab es einen ›Coordinator für Kriseneinsätze‹, Charlie Marsh, der das Sondereinsatzkommando befehligte, welches sich im Nebenraum in Bereitschaft hielt. Charlie, ein ehemaliger Armeesoldat, war ein Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren mit ergrautem Bürstenhaarschnitt, ein Fitneß-Fanatiker und Waffensammler -nicht der Typ, den Judy normalerweise mochte -, doch Charlie war geradeheraus und zuverlässig, und sie konnte mit ihm
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