Die Kinder Von Eden : Roman
Kredithai, und die Ratenzahlungen beglich er aus den Einnahmen. Obwohl er weder schreiben noch lesen konnte, wußte er immer genau Bescheid über seine finanzielle Lage. Ihn konnte niemand übers Ohr hauen. Einmal beschäftigte er eine vertrauenswürdig aussehende Frau mittleren Alters, die jeden Tag einen Dollar aus der Registrierkasse mitgehen ließ. Am Ende der Woche zog er ihr fünf Dollar vom Lohn ab, verprügelte sie und warf sie hinaus.
Binnen eines Jahres war er Besitzer von vier Läden, zwei Jahre später Eigentümer eines Spirituosengroßhandels. Nach drei Jahren war er Millionär – und am Ende des vierten Jahres auf der Flucht.
Manchmal dachte er darüber nach, was wohl geschehen wäre, wenn er dem Kredithai die verlangte Summe samt den Wucherzinsen voll zurückgezahlt, seinem Buchhalter ehrliche Zahlen für die Steuererklärung geliefert und sich, was die Betrugsvorwürfe anging, mit der Polizei von Los Angeles auf einen juristischen Kuhhandel eingelassen hätte.
Dann wäre ich heute vielleicht Inhaber einer Firma in der Größenordnung von Coca Cola und lebte in einer dieser Villen in Beverly Hills, mit Gärtner, Swimmingpool-Aufseher und einer Garage, in der fünf große Schlitten Platz haben.
Doch als er jetzt versuchte, sich in eine solche Situation hineinzudenken, wußte er sofort, daß das reine Illusion war. So etwas paßte nicht zu ihm. Der Kerl, der da im weißen Bademantel die Treppen seiner Villa hinunterschritt und dem Zimmermädchen lässig befahl, ihm frische Orangen auszupressen, trug nicht sein Gesicht. In der sogenannten normalen Welt konnte Priest nicht existieren. Mit fremden Regeln und Vorschriften hatte er seit jeher Probleme gehabt, denn er war außerstande, sich daran zu halten.
Etwas anderes als das Leben in der Kommune kam für ihn nicht mehr in Frage.
Im Silver River Valley bestimme ich die Regeln, und ich ändere sie, wenn ich es für richtig halte. Hier bin ich das Gesetz.
»Meine Finger tun mir weh«, sagte Flower,
»Dann hörst du am besten auf«, antwortete Priest. »Wenn du willst, bringe ich dir morgen ein anderes Lied bei.«
Wenn ich morgen abend noch am Leben bin.
»Tun sie dir auch weh?«
»Nein, aber nur deshalb, weil ich daran gewöhnt bin. Wenn du eine Weile übst, wächst dir eine Hornhaut an den Fingerkuppen, so ähnlich wie an deinen Hacken.«
»Hat Noel Gallagher auch Hornhaut auf den Fingerspitzen?«
»Wenn Noel Gallagher Popgitarrist ist …«
»Natürlich! Er spielt doch bei Oasis!«
»Ja, dann hat er eine Hornhaut. Könntest du dir vorstellen, Musikerin zu werden?«
»Nein.«
»Das war eine klare Antwort. Hast du schon irgendwelche anderen Vorstellungen?«
Flower schien ein schlechtes Gewissen zu haben; es war, als wisse sie schon im voraus, daß er ihre Wahl nicht billigen würde. Aber sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und sagte: »Ich möchte schreiben.« Priest wußte nicht genau, was er davon halten sollte.
Dein Papa wird deine Werke niemals lesen können …
Aber er tat, als wäre er ganz begeistert: »Das ist ja toll! Was willst du denn schreiben?«
»Artikel und so. Für Jugendzeitschriften wie Teen zum Beispiel.«
»Warum?«
»Da triffst du ‚n Haufen Stars und kannst sie interviewen. Oder du schreibst über Mode und Make-ups und so.«
Priest biß die Zähne zusammen, um sich seine Abscheu nicht anmerken zu lassen. »Also, daß du Schriftstellerin werden willst, finde ich auf jeden Fall gut. Und wenn du keine Zeitschriftenartikel, sondern Gedichte und Erzählungen schreibst, könntest du vielleicht sogar hier im Silver River Valley wohnen bleiben.«
»Ja, vielleicht«, sagte Flower, aber es klang nicht sonderlich überzeugt.
Priest spürte, daß sie nicht vorhatte, ihr ganzes Leben in der Kommune zu verbringen. Sie war einfach noch zu jung dafür. War sie erst einmal alt genug, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, würde sie die Dinge ganz anders sehen.
Hoffe ich jedenfalls…
Star kam zu ihnen. »Zeit für John Truth«, meinte sie.
Priest nahm Flower die Gitarre ab. »So, und du siehst zu, daß du ins Bett kommst«, sagte er zu ihr. Gemeinsam mit Star machte er sich auf den Weg zur Lichtung und ließ unterwegs die Gitarre in Songs Hütte zurück. Melanie saß bereits auf dem Rücksitz des Barracuda und hatte das Radio eingeschaltet. Sie trug jetzt ein hellgelbes T-Shirt und Blue Jeans aus dem Laden. Beides war ihr zu groß, weshalb sie das T-Shirt in die gesteckt und diese mit einem Gürtel strammgezogen hatte, so
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