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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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von ihr gesehen werden wollte .
    Sie musste blinzeln, weil ihr die Sonne in die Augen stach. Als der blinde Fleck vor ihren Augen endlich verschwunden war und sie wieder aufblicken konnte, war der Hügelkamm leer.
    Also ging Gunhild wieder hinein und nahm sich Holzeimer und Schemel, um die Kuh zu melken. Sie hatte das Bedürfnis, etwas wieder gutzumachen nach dem Unheil, das sie angerichtet hatte.
    Sie spürte eine gewisse Beklemmung, als sie mit dem mehr oder weniger vollen Eimer den drei Frauen wieder unter die Augen treten musste. Aber keine von ihnen machte ihr irgendwelche Vorwürfe. Es schien eine stillschweigende Übereinkunft zwischen ihnen zu geben, die Vorgänge vom gestrigen Abend gar nicht zu erwähnen. Also sagte Gunhild auch nichts von dem roten Stier.
    Und so ging es weiter, auch den folgenden Tag und den nächsten. Allerdings hatte sie sich getäuscht, was die Art der Unterweisung betraf, die ihr in diesen Tagen zuteil werden sollte. An Zauber und Magie hatte sie gedacht, an uralte Künste, in die man sie einweisen und die in ihr geheime Fähigkeiten wecken würden, von denen sie nie geahnt hatte. Immerhin hatte sie ja schon unter Beweis gestellt, dass sie zaubern konnte. Aber nichts dergleichen. Stattdessen wurde sie immer besser im Kühemelken.
    Sobald sie diese erste Pflicht des Tages erfüllt und ihr Frühstück verzehrt hatte, führte Ériu sie in die häuslichen Tätigkeiten ein. Sie lernte, wie man Käse machte, indem man mit einem Tuch die Molke aus dem Bottich schöpfte, dieses ausdrückte und die Masse in vorgefertigte Holzrahmen presste. Sie backte das erste Mal in ihrem Leben Brot, in einem alten Steinofen, der in den Felsen eingelassen war. Sie erfuhr, wie man Fische räucherte und Fleisch in Salz einlegte, wie man Marmelade aus Hagebutten, Schlehen und Holunderbeeren kochte und Honig aus Bienenwaben schleuderte, die man zuvor den Bienen weggenommen hatte. Und welche Worte man dabei zu sagen hatte, damit alles gelang.
    Brigid führte sie in die Kriegskunst ein. Sie lernte mit Schwert, Speer und Axt umzugehen ebenso wie mit Pfeil und Bogen. Sie erfuhr auch einiges über Strategie und die logistischen Probleme der Verpflegung eines Heeres im Feld. Auch die Kampflieder lernte sie, mit denen die Krieger in die Schlacht zogen. Nur Reiten lernte sie nie.
    »Pferde gibt es nur im Osten«, meinte Brigid dazu. »Dort reiten Krieger auf Pferden. Die Tuatha Dé Danann dagegen kämpften nur auf dem Streitwagen.«
    Doch auch davon hielt man sie fern, sei es, dass es hier keine Pferde und Wagen gab, sei es, weil man befürchtete, sonst könnte sie auf und davon fahren.
    Manchmal kam sie sich vor wie eine Gefangene. Dann, wenn ihr ganz elend war, nahm sie Zuflucht im Stall bei der braunen Kuh. Bei ihr fand sie immer Trost.
    Auf diese Weise sah sie den roten Stier erneut. Es war in der Abenddämmerung. Diesmal kam er näher heran. Er sprang den Hügel hinab, übermütig wie ein junges Kälbchen. Seine weißen Hörner waren nadelspitz. Der Dunst, den seine Nüstern in der kühlen Luft ausstießen, brannte wie Feuer. Er hatte etwas Schreckliches an sich in seiner ungestümen Kraft, doch zugleich sehnte Gunhild die Begegnung herbei, wie sie noch nie in ihrem Leben etwas ersehnt hatte.
    Der Stier verschwand in der Niederung des Tales. Er tauchte nicht wieder auf.
    Schließlich gab es da noch die langen Sitzungen mit der Caillech, in der Gunhild nicht nur mehr über Kräuter lernte, als sie je in ihrem Leben wissen wollte, sondern auch über die Zeiten, zu denen man sie pflücken und zubereiten musste und was man dabei zu sagen hatte. Sie erfuhr, dass es dabei nicht nur auf Tag- und Nachtzeit ankam, sondern auch auf die hellen und dunklen Zeiten des Mondes, der wechselnden Monate, der Jahreszeiten und der großen Zyklen des Universums. Sie lernte die Feste des Jahres auswendig – Beltane und Lughnasad, Samain und Imbolc – und wie sie sich mit den Richtungen des Himmels und der Erde zu einem endlosen Kreislauf verbanden. Selbst die Farben der zwölf Himmelsrichtungen konnte sie hersagen.
    Danach, wenn der Kessel auf dem Herd stand, erzählten die drei Frauen ihr Geschichten.
    Es waren Geschichten von Liebe und Hass, Treue und Verrat, von Verwandlungen und Zauberflüchen. Da war die Geschichte von den Kindern Lirs, die in Gestalt von Schwänen durch die Welt zogen und einsam ihre Lieder sangen. Oder die von den Söhnen Tuireanns, die als Vergeltung für einen Totschlag unmögliche Taten vollbringen mussten

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