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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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dachte nur daran, wie du durch die Straßen gelaufen bist und unter deinem Lederumhang geschwitzt hast, während du den Himmel angestarrt und dich gewundert hast, wie blau er war.«
    Auch Arducius musste lachen. Einige Leute hoben die Köpfe und sahen sich um, als die glockenhellen Laute ertönten. »›Dann gibt es morgen wohl Regen, was?‹, haben sie immer zu mir gesagt.«
    »Du bist wütend geworden und hast behauptet, es würde noch am gleichen Tag regnen. Mit fünf Jahren konntest du wirklich sehr zornig werden.«
    »Ihr habt mich alle ausgelacht«, klagte Arducius.
    Kessian zauste sein Haar. »Aber jetzt lacht keiner mehr über dich, nicht wahr?«
    »Richtig«, stimmte Arducius zu. »Die meisten sehen mich nur an, nein, uns alle sehen sie an, als erwarteten sie etwas von uns.«
    »So ist es. Wir alle erwarten etwas von euch.«
    In der Tat. Acht Jahre waren sie alt und schon hervorragend in ihren jeweiligen Begabungen. Aber der Rest … die vielfältigen Fähigkeiten, die Manipulation der Elemente – keine Spur. Die Autoritäten hatten alle Schriften des älteren Gorian untersucht und geprüft und nach Fehlern in den Theorien geforscht, aber keinen gefunden. Inzwischen gewann die Befürchtung an Gewicht, dass es eben doch nur Theorien waren, da sich nirgends greifbare Beweise finden ließen.
    Fragen drängten sich auf. Waren diese vier aus der neunten Linie des Aufstiegs wirklich die Ersten? Wie lange musste man denn noch warten? Jeden Tag betete Kessian, er möge es noch mit eigenen Augen sehen dürfen, und jeden Tag spürte er, dass Gott ihn ein wenig fester zupfte, damit er in die Erde zurückkehrte. Er glaubte nicht, dass die Neugeborenen der zehnten Linie irgendetwas Besonderes an sich hatten. Andere trugen jetzt Kinder unter dem Herzen. Er würde sie nicht mehr heranwachsen sehen. Inzwischen war er hundertvierzig und spürte sein Alter mit jedem Knacken seiner Knochen und jedem holpernden Schlag seines Herzens.
    »Geht es dir nicht gut, Vater Kessian?«, fragte Arducius.
    Kessian zwang sich zu einem Lächeln. »Doch, mir geht es gut. Zurück zu deiner Lektion. Was spürst du? Sage es mir.«
    »Ich spüre den Wind, als striche er durch meinen Kopf und meinen Körper«, begann Arducius. »Ich rieche einen Regentropfen, der dreihundert Meilen entfernt gefallen ist, weil der Wind ihn hergetragen hat. Ich taste mich in die Luft hinauf und erkunde, ob die Temperatur steigen oder sinken wird. Ich spüre, wie dick die Wolken sind und kann dir sagen, wie viel Regen aus ihnen fallen wird. Ich kann die Oberfläche des Meeres betrachten und erkennen, dass ein Sturm aufzieht.« Arducius zuckte mit den Achseln. »Es ist so wie immer, genau wie bei dir.«
    Es klang ein wenig niedergeschlagen, und Kessian konnte ihm keinen Vorwurf machen. Große Erwartungen lasteten auf diesen jungen Schultern. Das war noch nichts verglichen mit der Woge der Enttäuschung, die sie spüren würden, wenn sie den Erwartungen nicht gerecht wurden.
    »Es tut mir leid, Arducius«, sagte Kessian.
    »Was denn?«
    »Dass dies dein Schicksal sein muss.«
    Arducius runzelte die Stirn. »Ja, aber viele in Westfallen hatten doch irgendwelche Fähigkeiten.«
    »Nur sind sie bei keinem in so jungen Jahren so deutlich hervorgetreten. Und es gab niemanden, auf dem so große Hoffnungen ruhten.« Kessian seufzte. »Es war ungerecht von uns, so viel zu erwarten und zu unterstellen. Andererseits haben wir noch Zeit, viel Zeit.«
    Arducius starrte ihn an, und seine Miene spiegelte seine Unsicherheit, bevor er sprach. »Aber wir sind besser als alle anderen in unserem Alter. Sogar besser als du, nicht wahr?«
    Kessian nickte. »Oh ja, das seid ihr.«
    Ein Kind vermag immer Hoffnung zu spenden, und an diesen Strohhalm wollte Kessian sich klammern. Unter ihnen saß Gorian mit Gwythen Terol zusammen, zwei Herdenmeister bei der Arbeit. Gorian lernte bis ins kleinste Detail den Körperbau einer Kuh. Wie immer beruhigte sich das Tier, sobald er sich ihm näherte. Und wie immer, wenn er und nur er zur Herde kam, versammelten sich die Tiere kauend und glotzend um ihn wie ein andächtiges Publikum. Die Tiere wussten es.
    Was sie aber nicht wussten, war, warum auf Gottes Erde die Aufgestiegenen nicht den nächsten Schritt tun wollten. Es musste bald geschehen.

 
5

     
    843. Zyklus Gottes, 35. Tag des Solasauf
    10. Jahr des wahren Aufstiegs
     
    D ie Rauchwolke über Gullford wurde dichter, die Flammen von zwei Dutzend Bränden verstärkten die Hitze des Tages. Im

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