Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
entfacht, und die Bogenschützen tauchten die Pfeile ein. Im Zwielicht rollte der erste Onager herbei.
Er schoss jedoch nicht. Er kam nicht mehr dazu. Aus dem Schatten hinter den tsardonischen Feuern stürmten Kavalleristen hervor und umzingelten die Tsardonier an den Feuern. Auf einmal griff in den Reihen der Feinde Unsicherheit um sich. Der Ansturm gegen die Palisade geriet ins Stocken, als Tausende und Abertausende sich umdrehten.
Unter dem Banner von Roberto Del Aglios schlugen sie blitzschnell zu und brachten sich wieder in Sicherheit. Sie ritten von der Seite herbei, schossen Hunderte von Pfeilen ab und hackten auf Köpfe, Leiber und Katapultfedern ein, um gleich wieder zu verschwinden. Tsardonische Hörner ertönten und schickten die Steppenkavallerie zur Verfolgung aus. Gesteris konnte es kaum glauben, aber nun jubelten seine Bürger. Die Hufschläge verklangen, doch die Nervosität der Tsardonier blieb. Bald wurde der Grund offensichtlich.
Lauter und lauter wurde der Gesang, der von den Gawbergen widerhallte und weit über den Iyresee trug. Es war nicht der Kriegsgesang der Tsardonier, sondern ein Lied voller Stolz, das dem Herzen Mut machte und das Blut in den Adern pochen ließ. Ein Lied, das alle hier schon einmal gehört hatten, darunter nicht wenige, die jetzt als Feinde vor ihnen standen. Gesteris kannte es auswendig.
Das erste Mal hatte er es bei der Amtseinführung von Marschallverteidiger Yuran gehört, und es hatte ihm nach den langen, bitteren Kämpfen in Atreska die Tränen in die Augen getrieben. Auch jetzt war er dem Weinen nahe. Laut stimmte er ein und sang mit denen, die sich näherten, während die tsardonischen Kommandanten ihre Truppen anders aufzustellen suchten, um der neuen Gefahr zu begegnen.
Hell wie die Sonne strahlt mein Land
In der Konkordanz bist du das schönste Unterpfand
Dein Licht wärmt uns im großen Krieg
So stehst du an Estorrs Seite bis zum Sieg.
Der Feind mag bös die Klingen wetzen
Doch wir sind eins, und meinen Eid
auf mein Atreska werd’ ich nicht verletzen
Bis mich der Tod aus diesem Bund befreit.
Atreska! Atreska!
Oh du mein Land, von Gott gesegnet
Atreska! Atreska!
Oh du mein Land, von Gott gesegnet.
Jetzt wurden die Eindringlinge sogar ängstlich, und der Vorstoß kam zum Erliegen. Auch innerhalb der Palisade stimmten alle mit ein, bis Gesteris ein Schauer über den Rücken lief. Es war wundervoll, und ob sie nun siegten oder verloren, diesen Moment würde niemand, der überlebte, je wieder vergessen.
Zuerst waren nur die Laternen zu erkennen, die Del Aglios’ Kämpfer trugen, als sie, in der Triplex-Acies-Formation, durch die Löcher im Wall und das Tor hereinkamen. Singend tauchten sie im Feuerschein auf, dreihundert Schritte breit und strotzend vor Siegeswillen. Im Zentrum die Piken, die Hastati in perfekter Ordnung links und rechts daneben. Weiter hinten im Schatten kamen die Principes und Triarii. Und hinter ihnen allen das unverkennbare Rattern von Ochsengespannen. Geschütze.
Auf ein Signal hin, das er nicht erkennen konnte, hörte der Gesang auf. Seine Leute im Hauptlager sangen noch einmal die letzte Strophe, bis er auch ihnen befahl, ruhig zu sein. Schweigen breitete sich auf dem offenen Gelände aus, nur in der Ferne waren Hufschläge und Waffenklirren zu hören. Del Aglios stellte sein Heer hundertfünfzig Schritte vor den Feinden auf und gab ihnen zu verstehen, dass sie den Angriff besser nicht fortsetzen sollten.
Gesteris sagte nichts, sondern ließ die Macht und Ordnung der neuen Armee auf die Tsardonier wirken, die sich jetzt zwischen zwei feindlichen Verbänden gefangen sahen. Von allen Seiten kamen Helfer, um die Verteidigung der Palisade zu verstärken. Kein einziger Pfeil flog. Kein Krieger stieß mit dem Schwert zu, und kein Angreifer stieg auf eine Leiter. Er lächelte und spuckte vor seinen Füßen aus.
»Jetzt werdet ihr nervös, ihr tsardonischen Bastarde«, knurrte er.
Dann blickte er zu Kell und Nunan. »Sieht aus, als würden wir die Nacht doch noch überleben.«
Hinter ihnen, hoch oben in den Gawbergen, brannte das Signalfeuer und bildete den Hintergrund, als Roberto Del Aglios seine erschöpften Legionen zum Angriff führte.
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848. Zyklus Gottes, 19. Tag des Dusasauf
15. Jahr des wahren Aufstiegs
N eristus, richte unsere Onager auf den Feind aus. Beeile dich. Sie sind mit dem Rammbock vor der Palisade. Bahne mir einen Weg, und es muss schnell gehen.« Roberto brüllte die Befehle
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