Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
gemacht«, höhnte Anthus.
»Lass die Augen geschlossen.« Gorres schaltete sich rasch ein und legte ihm die flache Hand auf den Verband. »Lösche die Laterne, Bursche.« Dann löste sie den Verband. Nach zwei Schichten kamen weiche, mit Balsam getränkte Tücher zum Vorschein. Sie nahm auch die Tücher ab. Anthus keuchte und hob die Hände, unter den Lidern zuckten seine Augäpfel. »Lass sie zu. Ich muss dich erst säubern.« Sie wischte die Tränen ab, die seine Augen verklebt hatten. »So, jetzt lege die Hände vor deine Augen und öffne sie langsam.«
»Ich kann Licht erkennen.« Doch in Anthus’ Stimme war keine Freude.
»Faszinierend«, sagte Gorres. »Erstaunlich.«
»Macht es dir keine Angst?«, fragte Arducius.
Gorres lachte. »Warum sollte es? Ich bin eine Karku und inmitten von Wundern geboren.«
Arducius beobachtete wieder Anthus, der die Augen geöffnet hatte und blinzelte, weil ihm selbst hier, in der Dämmerung unter Deck, das Licht noch zu grell war. Er betastete seine Augen.
»Die Schmerzen in den Augenhöhlen werden bald nachlassen«, erklärte Ossacer ihm. »Du wirst so gut sehen können wie früher.«
Auf einmal würgte Anthus und begann am ganzen Körper zu zittern.
»Geh weg«, sagte er. »Das kann niemand tun. Kein Mann und keine Frau. Ich bin schmutzig. Besudelt. Das ist das Augenlicht des Teufels.«
Gorres erreichte ihn, bevor er sich die Augen auskratzen konnte, schloss ihn in ihre starken Arme und redete flüsternd auf ihn ein, er solle sich beruhigen. Ossacer wich erschrocken zurück, bis Arducius ihn festhielt.
»Ich habe ihm geholfen«, sagte Ossacer mit bebender Stimme. »Ich habe ihm geholfen, damit er wieder sehen kann.«
»Geht jetzt lieber, junge Burschen«, sagte Gorres, die den sich windenden Anthus festhielt. »Er wird schon zu sich kommen. Ihr hoffentlich auch. Was ihr da tut, macht den Leuten Angst. Es ist ihnen fremd, und die Menschen ängstigen sich schnell. Wenn ihr könnt, dann verbergt eure Fähigkeiten. Estorea ist noch nicht für euch bereit. Vielleicht wird es nie so weit sein.« Sie lächelte traurig. »Es tut mir leid um euch. Mir ist schon klar, was ihr glaubt, einmal werden zu können.«
Arducius führte Ossacer an den misstrauisch gaffenden Matrosen vorbei durch das Ruderdeck. Anthus’ Schreie verfolgten sie. Er klagte, weil Ossacer ihm das Augenlicht zurückgegeben hatte, und behauptete steif und fest, er sei verflucht. Ossacer war den Tränen nahe. Arducius bugsierte ihn eilig in Mirrons Kabine zurück und rief Kovan und Gorian. Bevor er ihnen erzählen konnte, was geschehen war, erhoben sich laute Rufe.
»Warum denn gerade jetzt? Warum jetzt, nachdem wir ihn geheilt haben? Warum nicht, als Gorian ihn verletzt hat?«, fragte Mirron.
»Bis jetzt konnten sie sich noch etwas vormachen«, erklärte Kovan. »Was Gorian getan hat, hätte auch ein dummer Zufall sein können, irgendeine äußere Verletzung der Augen oder so. Aber jetzt … jetzt ist es überdeutlich geworden. Er konnte nicht sehen, und jetzt kann er es wieder.«
Draußen ertönte ein lautes Poltern. Kovan zog das Schwert und bezog vor den Aufgestiegenen Position. Gorian stellte sich neben ihn.
»Ich werde nicht zögern«, sagte er.
Kovan sah ihn kurz an. »Ich würde dich auch nicht bitten, es zu tun.«
»Je mehr Gutes wir tun, desto mehr hassen sie uns«, flüsterte Ossacer.
Er saß neben Arducius auf dem Bett, Mirron stand hinter den beiden anderen und wusste nicht wohin.
»Du solltest vielleicht öfter mal auf mich hören«, sagte Gorian. »Hör auf zu heulen, das schwächt dich nur.«
»Du hättest seine hasserfüllte Stimme hören sollen«, fuhr Ossacer fort. »Er hält mich für böse.«
»Dann müssen wir uns eben gegen diese Ungläubigen verteidigen«, sagte Gorian. »Das können wir. Wir besitzen Kräfte, von denen sie nicht einmal zu träumen wagen.«
»So darfst du nicht denken, Gorian«, widersprach Arducius. Er hatte bei Gorians Worten die Augen geschlossen und klammerte sich an die Möglichkeit, dass sie nur aus Furcht und aus keinem anderen Grund gesprochen worden waren. »Nur weil sie es nicht verstehen, müssen wir doch nicht gleich …«
Mirron kreischte erschrocken, als unvermittelt jemand anklopfte. Gorian sprang zurück. Eine laute Frauenstimme übertönte die Rufe. Patonia. Es gab einen Tumult, aber sie konnten nicht verstehen, was die Leute sagten. Die Antworten klangen jedenfalls scharf und zornig. Anscheinend setzte sie sich aber durch. Dann war eine
Weitere Kostenlose Bücher