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Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann

Titel: Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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barg und sie weinend umarmte. Sie war so alt und gebrechlich geworden. Ardols Tod zeichnete sie wie eine Krebserkrankung. Auch für sie würde es nicht mehr lange dauern. Schließlich fasste Genna sich wieder und zog sich zurück. Hesther hatte ihren Körper kaum gespürt, so schmal war die alte Frau geworden.
    »Ich hatte ihn so lange. Viel länger, als ich es mir hätte träumen lassen. Er war mit seiner Fähigkeit und dem Leben gesegnet, das sie ihm gab«, sagte Genna mit dünner, schwacher Stimme. »Und doch habe ich das Gefühl, er sei mir viel zu früh weggenommen worden.« Fragend und verzweifelt suchte sie Hesthers Blick. »Ich hätte so gern seine Rückkehr in die Erde gefeiert und wäre glücklich im Wissen eingeschlafen, dass er in der Umarmung Gottes gut aufgehoben ist. Das hat sie mir verweigert. Sie hat mir die Freude daran geraubt.«
    »Oh Genna«, sagte Hesther, der die Worte fehlten.
    »Ich will nicht hassen«, fuhr die alte Frau fort, »aber etwas anderes als Hass finde ich nicht mehr in meinem Herzen.«
    Hesther war niedergeschlagen. Welchen Sinn hätte es auch gehabt, Genna etwas auszureden, das sie Tag für Tag auch selbst empfand, sobald sie erwachte? Abermals loderte der Zorn in ihr auf. Eine Schande, dass dies das letzte starke Gefühl sein sollte, das diese wundervolle Frau empfand.
    »Sei nicht von Hass erfüllt, wenn du dich neben Ardol legst«, flüsterte Hesther.
    Darüber hätte Genna beinahe gelächelt. »Ich verlasse mich darauf, dass er mich besänftigen kann.«
    »Das wird er bestimmt tun«, stimmte Hesther zu. »Er schenkt uns allen die Kraft zum Weitermachen. Deshalb bin ich hier.«
    »Er wird sich freuen, dass die Leitung der Autorität jetzt in deinen Händen liegt«, sagte Genna. »Er war immer so stolz auf deine Kraft.«
    Hesther seufzte. Sie fühlte sich überhaupt nicht stark. »Wo sind sie, Genna? Sind sie da draußen sicher? Leben sie noch?«
    Genna tätschelte ihr Knie. »Sie sind nach Sirrane unterwegs, wo der Orden ihnen nichts anhaben kann. Das ist der einzige Trost, den wir jetzt noch haben.«
    Hesther vermochte Gennas Zuversicht nicht zu teilen. Hoch in den Dukanbergen besudelte ein Schandfleck aus Feuer und Rauch, der von der Invasion kündete, den Himmel. Vasselis hatte inzwischen erfahren, dass die Leuchtfeuer wegen eines schrecklichen Rückschlags in Tsard und der Invasion von Atreska entfacht worden waren. Gennas Kummer hatte sie blind gemacht. Die Aufgestiegenen mussten durch das Kriegsgebiet reisen. Hesther konnte nur hoffen, dass ihre Begleiter so fähig waren, wie der Marschallverteidiger behauptete.
    Eine Weile lauschte sie noch Gennas leisen Worten, sprach einige Gebete und Grüße und stand schließlich wieder auf, um Kessians Maske zu berühren. Es war nicht genug Platz gewesen, damit alle Trauernden ihre Botschaften anbringen konnten, und so hatte die Laienleserin auch die Innenseite der Maske freigegeben und im Buch eine eigene Seite eingerichtet. Es widersprach den Schriften, einen solchen Ausbruch von Trauer zuzulassen, aber wie die Laienleserin gesagt hatte, war sie nicht die Einzige im Orden, die die Regeln jeweils so auslegte, wie es ihr passte. Den verbitterten Unterton hatte sie dabei nicht unterdrücken können.
    Hesther umarmte Genna und kehrte in die Stadt zurück. Auf dem Forum war es in der letzten Zeit still geblieben. Seit dem schrecklichen Auftritt der Kanzlerin hatten keine Händler mehr die Stadt aufgesucht.
    Vasselis hatte den Einwohnern versichert, dass dennoch niemand einen Nachteil erleiden sollte, und so hatten viele Geschäfte, die vom Handel mit Reisenden abhingen, geschlossen und ihre Arbeitskräfte für die Verstärkung der Verteidigungsanlagen zur Verfügung gestellt. Es gab vielleicht keine Freude mehr in der Stadt, aber die Entschlossenheit, trotz allem zu überleben, war überall zu spüren.
    Hesther ging zu den Bauarbeitern. Am Vortag war aus Glenhale ein Lastkahn mit Stein angekommen, und jetzt schufteten die Baumeister, um im Palisadenzaun einen weiteren Turm zu errichten.
    Vasselis beriet sich gerade mit Harkov in einem offenen Zelt aus Segeltuch. Sie studierten die Baupläne, aber auf dem Tisch lag auch eine Landkarte, und das machte Hesther aus Gründen, die sie zunächst nicht einmal richtig benennen konnte, große Sorgen.
    Vasselis kam um den Tisch herum, küsste sie auf die Stirn und die Wangen und schob sie hinein. Mit gewohnter Autorität gab er Befehle und eindringliche Ratschläge. Hesther konnte jedoch tiefer

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