Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
erfüllen«, sagte er, ohne sie anzuschauen. »Ich kann verstehen, dass ihr euch verloren und verletzt fühlt und trauert. Ich weiß, dass Mirron schnell seekrank wird, aber ich weiß auch, dass Ossacer es beheben kann. Ich weiß, dass Gorian und Kovan nicht gut miteinander auskommen, aber so ist das Leben. Mir ist klar, dass ihr große Kräfte entwickelt, bei deren Verständnis euch niemand helfen kann. Damit müsst ihr ganz allein zurechtkommen, und deshalb empfinde ich echtes Mitgefühl mit euch.
Dies habe ich bisher gelernt. Jetzt seid ihr an der Reihe. Im Gegensatz zu euch werde ich mich allerdings kurz fassen und jede Tatsache nur einmal erwähnen.«
Er wandte sich an sie und deutete auf die imposanten schneebedeckten Gipfel von Kark, die sich von links nach rechts über den Horizont zogen und mit jeder Stunde, die verging, höher aufzuragen schienen.
»In zwei Tagen werden wir in Ceskas landen. Das ist eine Grenzstadt, deren Bewohner an ein raues Leben gewöhnt sind. Sie liegt auf einer Erhebung, die ihr vermutlich einen Berg nennen würdet, die für die Einwohner selbst und ihre Nachbarn aus Kark jedoch kaum mehr als ein Hügel ist. Die Luft ist dort dünn, und ihr werdet schnell ermüden. Allerdings werden wir uns nur gerade lange genug aufhalten, um Maultiere und Vorräte einzukaufen, damit wir uns auf die Wanderung über die Grenze machen können.
Wir werden hohe Pässe benutzen, weil es im Flachland zu gefährlich ist. Nicht weil die Karku euch töten werden, sondern weil es dort, wo sie keinen Pass in den Fels geschlagen haben, auch keinen gibt. Bei jedem unvorsichtigen Schritt droht der Tod. Auf den hohen Bergen beißt der Wind mit eisigen Zähnen. Euch könnten die Finger abfrieren, und die Luft könnte in euren Lungen erstarren. Schnee und Eis liegen hoch und sind so grell, dass sie euch blenden. Wir werden so hoch hinaufkommen, dass ihr um jeden Atemzug ringen müsst.
Die Karku selbst sind ein geheimnisvolles, mächtiges Volk, genau wie die Sirraner. Sie müssen keine Invasion großer Truppen fürchten, weil sie stets zuerst schießen und erst anschließend die Fragen stellen. Sie haben Rituale und Religionen, an die sie inniger glauben als jeder Ordenssprecher. Sie haben heilige Orte, die kein Außenstehender sehen und erst recht nicht betreten darf. In diesem Land können einem ein falsches Wort oder eine unangebrachte Geste Schmerzen oder den Tod einbringen. Dennoch sind sie ehrenwert und unsere Verbündeten. Das Wichtigste ist bei ihnen der Respekt.«
Er hielt inne und warf Gorian einen scharfen Blick zu, ehe er fortfuhr.
»Wir werden mindestens zehn Tage in Kark bleiben, falls mir nicht über die Kontakte, die ich hoffentlich knüpfen kann, irgendetwas anderes zugetragen wird. Von dort aus werden wir uns durch das östliche Atreska bis nach Tsard bewegen. In gerader Linie sind es mehr als tausend Meilen bis Sirrane, aber wir können nicht wie die Vögel fliegen. Wer müssen durch ein Land reisen, das vom Krieg zerrissen ist, und kommen deshalb möglicherweise nur langsam voran. Vielleicht gelangen wir in die Nähe der Toursanischen Seenplatte, wo noch Kannibalen hausen und der Sumpf einen Menschen binnen weniger Augenblicke verschlingen kann. Wir müssen auch durch die Steppe, wo die schnellen, geschickten und gefährlichen Reiter leben. Wir werden nicht anhalten, und wir werden nicht umkehren.
Wenn wir wirklich großes Glück haben, marschiert Roberto Del Aglios mit seinem Heer noch nach Süden, und dann haben wir den schlimmsten Teil der Reise bald hinter uns. Erst dann seid ihr gefordert, euren Anteil beizutragen, um die Konkordanz zu retten. Wenn ihr das nicht tut, werdet ihr alles verlieren, was ihr liebt, und der Kummer, den ihr jetzt empfindet, wird im Vergleich dazu ein Genastrotag sein.
Wir dürfen nicht scheitern. Ihr könnt mit euren Kräften ganze Heere aufhalten. Ihr könnt die Feinde so sehr verängstigen, dass sie kehrtmachen und weglaufen. Das erwarte ich von euch, und euer Gejammer über den Frieden wird bei mir auf taube Ohren stoßen. Die Tsardonier kommen, und unsere Verbündeten wenden sich gegen uns.«
Darauf blickte er sie einen nach dem anderen an, die bleichen Gesichter und die ängstlichen Augen.
»Ich weiß, wie sehr ihr euch fürchtet. Das ist kein Wunder. Ihr habt behütet und bequem in Westfallen gelebt, aber diese Zeiten sind vorbei. Jetzt seid ihr in meiner Welt, und in dieser Welt herrscht Krieg. Ein Krieg kann euch alles nehmen. Sogar die letzten
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