Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
nicht warum, aber er hatte das Gefühl, er könne eine Eingebung bekommen, wenn er die südlichen Ebenen von Atreska überblicken konnte. Vielleicht würde es auch nur seine Befürchtungen verstärken. Jedenfalls entwickelte sich der Krieg schneller, als er folgen konnte, und so blieb ihm nur die Hoffnung, es sei kein verhängnisvoller Fehler, an die Aufgestiegenen zu glauben.
Am Anfang des Jahres war er noch fest überzeugt gewesen, nur das Schwert und das Pferd seien die richtigen Mittel, um die tsardonischen Truppen zurückzuschlagen und Yuran seine gerechte Strafe zukommen zu lassen. Offenbar hatte er den Verstand verloren.
Allerdings schlummerten große Kräfte in ihnen, und sie folgten ihm bereitwilliger als am Anfang und glaubten fest an ihre noch unerprobten Fähigkeiten. Das machte ihm Mut. Sie konnten Regen und Feuer heraufbeschwören und Bäume wachsen lassen. Das war außergewöhnlich. Neben all der Zuversicht gab es allerdings auch Befürchtungen, denn von den Knospen einer Blume bis zu einer großen Armee, die aufgehalten werden musste, war es ein gewaltiger Schritt.
Harban und Icenga führten sie wieder höher hinauf. In den Gängen im Berg war die Luft kalt, und hier waren die Wände unbearbeitet und uneben. Hier und dort mussten sie in den Fels gehauene Stufen hinaufklettern und auf schmalen Brücken aus Stein und Holz Schluchten im Innern der Berge überwinden.
Sie befanden sich am äußersten Rand des Gebiets der Karku, und die Kälte, die über sie hereinbrach, als sie das Ende der Pfade erreichten, erinnerte sie auf höchst unangenehme Weise daran, dass der Dusas kam. Sie brauchten drei Tage. Wenigstens heilten die Blasen an den Füßen mit der Zeit, und die Klagen der Aufgestiegenen über die unbequeme Wanderung ließen nach. Kovan Vasselis gab sich die ganze Zeit verschlossen, nachdem ihm bewusst geworden war, welches Schicksal die Legionen ereilt hatte, denen er sich hatte anschließen wollen. Meist hielt er sich von den Aufgestiegenen fern und wechselte kaum ein Wort mit Mirron, ganz zu schweigen von den anderen.
Jhered hatte ihn zunächst sich selbst überlassen. Doch als sie vor dem Aufstieg zur eiskalten grauen Mündung die Pelze eng um sich gewickelt hatten, erkundigte er sich, wie es dem jungen Mann ging.
»Die anderen können sich einreden, Jorganeshs Armee sei irgendwie unwirklich. Das alles ist ihnen so fremd, dass sie das Leiden der einzelnen Kämpfer nicht sehen müssen. Aber bei dir ist es anders, nicht wahr?«
Kovan ließ sich mit der Antwort Zeit. Er war erst siebzehn Jahre alt und damit viel zu jung, um von der Vernichtung eines Heeres der Konkordanz gehört zu haben. Ganz zu schweigen davon, das Ergebnis selbst ansehen zu müssen.
»Es macht mich wütend. Sie verstehen es nicht, und sie lächeln schon wieder. Alles, was geschehen ist … Kessian, die Kanzlerin. Wie können sie das alles verdrängen? Dies ist die Wirklichkeit, aber ihnen ist das anscheinend egal.«
»Das ist eine schwere Lektion, Kovan«, sagte Jhered. »Es ist ihnen übrigens keineswegs egal, aber sie halten es für besser, ihre Gefühle zu verbergen. Vergiss nicht, dass sie aus ihrem behüteten Leben gerissen wurden und in mancher Hinsicht viel jünger sind als du. Trotz allem, was sie gelernt haben, sind sie noch Kinder. Du bist ein Mann und ein Soldat. Ihre Reaktionen sollten dich nicht verletzen. Sag mir, wie du dich fühlst.«
Kovan sah sich um. Die Aufgestiegenen plauderten. Jhered hatte inzwischen gelernt, den unablässigen Lärm zu ignorieren, der die Gänge erfüllte wie das Huschen der Ratten.
»Ich habe Angst, und dafür schäme ich mich«, gab Kovan zu. »Gorian hatte recht. Ich habe Angst, mich den Legionen anzuschließen.«
Darauf blieb Jhered stehen und winkte Menas und den Aufgestiegenen, an ihnen vorbeizugehen. Schließlich fasste er Kovan an den Schultern und drehte ihn zu sich herum.
»Es ist nicht ehrenrührig, sich zu fürchten«, sagte er. »Ich bin sicher, dass auch dein Vater es dir schon gesagt hat. Die Angst macht uns vorsichtig und hilft uns, am Leben zu bleiben. Es ist richtig, dass du Angst davor hast, in die Legion einzutreten und dort eine Weile zu dienen. Es ist ein schreckliches, hartes Leben. In den Schlachten sterben Männer und Frauen. In Liedern mag der Tod auf dem Schlachtfeld ruhmvoll sein, aber wenn du mittendrin stehst, ist es entsetzlich. Der wahre Mut zeigt sich, wenn man sich den Ängsten stellt, wenn man sie versteht und akzeptiert. Du hast Angst vor dem
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