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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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schien kalt zu sein, und außerdem interessierte sie sich nicht einen Deut für das, was um sie herum vor sich ging. Ulrich und Benedikt teilten sich ein Stück Brot; sie aßen es heimlich, damit sie der Bestrafung durch Pfarrer Ludwig entgingen. Der Junge aus Heidingsfeld wiegte einen Stein in der Hand. Er wartete nur noch auf den richtigen Augenblick. Und Andreß? Wie nicht anders zu erwarten, ging er in seiner Narretei völlig auf.
    Allein Ursula verhielt sich angemessen. Die Verlesung der Anklagepunkte machte sie betroffen, zugleich erschrak sie über das Gekeife der Schaulustigen nach einer möglichst grausamen Bestrafung der Malefikanten. Sie ahnte, welche Gräuel sie heute noch mit ansehen musste.
    Ludwig hatte alle Hände voll zu tun, die anderen Kinder aus seiner Klasse zu disziplinieren. Es setzte zwar noch immer Ohrfeigen, aber bei weitem nicht mehr so oft wie noch vor einer Woche. Er gab sich als guter Hirte, und die Kinder dankten es ihm nicht. Sie glaubten, er sei schwach geworden.
    Im Augenwinkel erblickte Kathi noch ein bekanntes Gesicht – Volkhardt, den Anführer der Schwarzen Banden. Er stand breitbeinig und selbstbewusst in vorderster Reihe. Als könne er ihre Gedanken lesen, lächelte er ihr aufmunternd zu. Kathi erwiderte das Lächeln zögerlich.
    Ganz anders schaute ein Junge an seiner Seite. Er war kleiner als Volkhardt, aber genauso verlaust und dreckig. Er hatte eine seltsame Art, sie anzusehen. Irgendwie stechend, irgendwie bedrohlich. Als er dann auch noch einen Finger quer über den Hals zog und dabei gehässig grinste, schreckte Kathi zusammen. Wieso machte der Junge das? Kannte er sie?
    Plötzlich tauchte Andreß vor ihr auf. «Jetzt sind deine dran. Deine dran!» Er hüpfte wie toll um sie herum. «Eins, zwei und drei, Schluss mit der Hexerei. Vier, fünf und sechs, ins Feuer mit der alten Hex’. Sieben, acht, neun und zehn, hilft kein Bitt’n und kein Fleh’n, brennen will ich sie seh’n.»
    Kathi schob ihn angewidert zur Seite. Sie wollte hören, welche Anklagepunkte der Malefizschreiber vorzubringen hatte.
    «… hat Cornelius Grimm zehn Kindern und dreizehn alten Leuten hinterrücks das Leben genommen. Seinem Nachbarn, dem Bäcker Sendler, ist er mindestens fünfmal in den Keller gefahren und hat das gute Korn verdorben. Bei Nacht ist er als Wolf unterwegs gewesen und hat sieben unschuldige Kinder gefressen und den Friedhof mit seiner Notdurft entweiht.»
    Die Aufzählung der Schandtaten dauerte noch eine ganze Weile an. Kathi fragte sich, wie der Mann, der zweifellos keinen guten Ruf besaß, all diese Gräuel begangen haben sollte. Das schien niemand zu interessieren, er hatte die Verbrechen ja gestanden. Wenn siebzehn oder auch weniger Kinder ermordet oder gefressen worden waren, dann hätte sie – wie jeder andere auch – doch bestimmt davon erfahren. Es war ihr aber nichts bekannt. Offenbar handelte es sich um auswärtige Kinder, daher gab sich jeder damit zufrieden.
    Sie schaute durch die Reihen der Angeklagten. Da stand ein kleinwüchsiger, aber stämmiger Bursche, vielleicht sechzehn oder achtzehn Jahre alt, der hin und wieder zu den Anschuldigungen den Kopf hob, um ihn dann kraftlos fallen zu lassen. Sein rechtes Auge war geschlossen, sodass er nichts damit sehen konnte. Seine Lippen ähnelten einer großen Pflaume, so aufgeschwollen und blau waren sie. Selbst wenn es ihm erlaubt worden wäre, hätte er sich nicht zu den Vorwürfen äußern können. Dieser Cornelius Grimm hatte die Folterknechte wahrlich kennengelernt, und Kathi war schuld daran. Sie schluckte.
    «Joachim Bauth, vormals hochgeschätzter Stadtrat und Doktor der Philosophie, hat sich folgender Verbrechen schuldig gemacht:
    Des Feuerlegens in über zwanzig Fällen, an die fünfzig Kinder, Weiber und Mannsleute sind dabei schrecklich verbrannt, der Zauberei, mit der er fünfundsiebzig Kinder und Weibsbilder verkrüppelt hat, des Hostiendiebstahls in elf Fällen, des Hagel- und Schauermachens …»
    Wieder hielt Kathi nach dem Angeklagten Ausschau. Ein nach vorne gebeugtes Mannsbild mit einer Kralle anstatt einer Hand wankte und konnte sich nur mit einer Art Krückstock auf den Beinen halten. Einer der Stadtknechte musste es auf ihn abgesehen haben. Wann immer Bauth das Bewusstsein zu verlieren drohte, schlug er ihm mit dem Stock auf den Rücken. Es war ein unwürdiges Schauspiel, bei dem ein gemeiner Knecht einen wehrlosen Lehrer der angesehenen Universität zu Würzburg auf das schändlichste

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