Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
Lady, und sie war böse auf dich.«
»Ich war böse auf sie, weil sie uns schlecht behandelt, und ich verstehe nicht, warum. Wir hatten eine Auseinandersetzung, sie und ich, eine hitzige Auseinandersetzung. Aber das ist jetzt vorbei. Es war nicht wichtig.«
»Sie hat gesagt, dass du etwas in sie hineinstoßen willst.«
Er schweigt.
»Was hat sie damit gemeint? Willst du wirklich etwas in sie hineinstoßen?«
»Es war nur so eine Redewendung. Sie hat gemeint, ich wolle ihr meine Ideen aufzwingen. Und sie hatte recht. Man sollte nicht versuchen, anderen seine Ideen aufzuzwingen.«
»Zwinge ich dir Ideen auf?«
»Nein, natürlich nicht. Nun wollen wir etwas zu essen suchen.«
Sie durchkämmen die Straßen östlich vom Park, forschen nach einer irgendwie gearteten Gaststätte. Es ist ein Viertel mit bescheidenen Villen und hier und da einem niedrigen Mehrfamilienhaus. Sie stoßen nur auf einen einzigen Laden. NARANJAS steht in großen Buchstaben auf dem Schild. Die stählernen Rollläden sind geschlossen, also kann er nicht sehen, ob dort wirklich Apfelsinen verkauft werden oder ob Naranjas nur ein Name ist.
Er spricht einen Passanten an, einen älteren Mann, der einen Hund an der Leine ausführt. »Entschuldigen Sie«, sagt er, »mein Junge und ich suchen nach einem Café oder Restaurant, wo wir etwas zu essen bekommen können, oder wenn es das nicht gibt, nach einem Lebensmittelladen.«
»An einem Sonntagnachmittag?«, sagt der Mann. Sein Hund beschnüffelt die Schuhe des Jungen, dann seinen Schritt. »Ich weiß nicht, was ich vorschlagen soll, wenn Sie nicht in die Innenstadt gehen wollen.«
»Gibt es einen Bus?«
»Nummer 42 , aber er fährt sonntags nicht.«
»Da können wir also nicht in die Innenstadt. Und es gibt nichts in der Nähe, wo wir essen können. Und alle Läden sind geschlossen. Was schlagen Sie nun vor, sollen wir tun?«
Der Gesichtsausdruck des Mannes verhärtet sich. Er zerrt an der Hundeleine. »Komm, Bruno«, sagt er.
In missmutiger Stimmung macht er sich auf den Rückweg zum Zentrum. Sie kommen nur langsam voran, da der Junge trödelt und hüpft, um Spalten im Pflaster zu vermeiden.
»Komm schon, mach schnell«, sagt er gereizt. »Mach dein Spiel ein andermal.«
»Nein. Ich will nicht in einen Spalt fallen.«
»Das ist Quatsch. Wie kann ein großer Junge wie du in einen kleinen Spalt wie den da reinfallen?«
»Nicht in den Spalt da. In einen anderen.«
»In welchen Spalt? Zeig den Spalt.«
»Weiß ich nicht! Ich weiß nicht, in welchen Spalt. Niemand weiß es.«
»Niemand weiß es, weil niemand in einen Spalt im Pflaster fallen kann. Beeil dich jetzt.«
»Ich kann’s doch! Du auch! Jeder kann’s! Du hast keine Ahnung!«
Fünf
A m nächsten Tag nimmt er auf der Arbeit während der Mittagspause Álvaro beiseite. »Entschuldige, wenn ich eine private Angelegenheit anspreche«, sagt er, »aber ich mache mir zunehmend Sorgen um die Gesundheit des Jungen, und besonders um seine Nahrung, die – wie du sehen kannst – aus Brot und Brot und nochmals Brot besteht.«
Und in der Tat sehen sie den Jungen unter den Schauerleuten im Windschatten des Schuppens sitzen und trübselig an seinem halben Brot, angefeuchtet mit Wasser, herumkauen.
»Mir scheint«, fährt er fort, »ein wachsendes Kind braucht mehr Abwechslung, mehr Nährstoffe. Man kann nicht von Brot allein leben. Es ist kein Universalnahrungsmittel. Du weißt nicht zufällig, wo ich Fleisch kaufen kann, ohne mich ins Stadtzentrum zu begeben?«
Álvaro kratzt sich am Kopf. »Nicht hier in der Gegend, nicht im Hafenviertel. Es gibt Leute, die Ratten fangen, habe ich erzählen hören. An Ratten herrscht kein Mangel. Aber dafür brauchst du eine Falle, und ich weiß aus dem Stegreif nicht, wo du eine gute Rattenfalle bekommen kannst. Vielleicht musst du dir selbst eine bauen. Du könntest Draht verwenden und irgendeinen Schnappmechanismus.«
»Ratten?«
»Ja. Hast du keine gesehen? Überall wo Schiffe sind, gibt es Ratten.«
»Aber wer isst denn Ratten? Isst du Ratten?«
»Nein, das fiele mir nicht im Traume ein. Aber du hast gefragt, wo du Fleisch bekommen könntest, und das ist alles, was ich vorschlagen kann.«
Er starrt Álvaro lange in die Augen. Er entdeckt kein Anzeichen, dass er scherzt. Oder wenn es ein Scherz ist, dann ein sehr schwer verständlicher.
Nach der Arbeit begeben er und der Junge sich schnurstracks zurück zu den rätselhaften Naranjas. Sie kommen an, als der Besitzer gerade dabei ist, die
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