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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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Dulcinea?«, fragt sie.
    »Das spielt keine Rolle. Sie ist die Frau, in die Don Quijote verliebt ist. Keine wirkliche Frau. Ein Ideal. Eine Vorstellung in seinen Gedanken. Schau nur, wie gut er die Buchstaben geschrieben hat. Er konnte die ganze Zeit schreiben.«
    »Natürlich kann er schreiben. Er kann alles – stimmt’s, David? Du kannst alles. Du bist Mamas Junge.«
    Mit einem breiten und (so scheint ihm) ziemlich selbstzufriedenen Lächeln klettert David aufs Bett und streckt die Arme nach seiner Mutter aus, die ihn stürmisch umarmt. Er schließt die Augen; er schwelgt in Glückseligkeit.
     
    »Wir gehen wieder in die Schule«, verkündet er dem Jungen, »du und Inés und ich. Wir nehmen
Don Quijote
mit. Wir werden Señor León zeigen, dass du lesen kannst. Und wenn wir das getan haben, wirst du ihm sagen, wie leid es dir tut, diese ganze Aufregung verursacht zu haben.«
    »Ich gehe nicht wieder in die Schule. Ich brauche es nicht. Ich kann schon lesen und schreiben.«
    »Du hast nicht länger die Wahl zwischen dem Besuch von Señor Leóns Schule und dem zu Hause Bleiben. Entweder Señor Leóns Schule oder die Stacheldraht-Schule, das steht zur Wahl. Außerdem geht es bei der Schule nicht nur um Lesen und Schreiben. Es geht auch darum, dass man lernt, mit anderen Jungen und Mädchen auszukommen. Es geht darum, ein soziales Wesen zu werden.«
    »Es gibt keine Mädchen in Señor Leóns Klasse.«
    »Ja. Aber du trifftst während der Pausen und nach der Schule mit Mädchen zusammen.«
    »Ich kann Mädchen nicht leiden.«
    »Das behaupten alle Jungen. Dann verlieben sie sich eines Tages plötzlich und heiraten.«
    »Ich werde nicht heiraten.«
    »Das behaupten alle Jungen.«
    »Du bist nicht verheiratet.«
    »Ja, aber ich bin ein Sonderfall. Ich bin zu alt, um zu heiraten.«
    »Du kannst Inés heiraten.«
    »Ich habe eine besondere Beziehung mit deiner Mutter, David, und du bist zu jung, um sie zu verstehen. Ich sage darüber nichts weiter als dass es keine Heiratsbeziehung ist.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es in uns eine Stimme gibt, die manchmal die Stimme des Herzens genannt wird, die uns sagt, was für ein Gefühl wir für einen Menschen haben. Und das Gefühl, das ich für Inés habe, ist mehr Wohlwollen als Liebe, derentwegen man heiratet.«
    »Wird Señor Daga sie heiraten?«
    »Ist es das, was dich umtreibt? Nein, ich bezweifle, dass Señor Daga deine Mutter heiraten will. Señor Daga ist nicht der Typ, der heiratet. Außerdem hat er eine völlig zufriedenstellende Freundin.«
    »Señor Daga sagt, dass er und Frannie ein Feuerwerk machen wollen. Er sagt, sie machen ein Feuerwerk unter dem Mond. Er sagt, ich kann hinkommen und zuschauen. Kann ich?«
    »Nein, das geht nicht. Wenn Señor Daga Feuerwerk sagt, meint er kein richtiges Feuerwerk.«
    »Doch! Er hat einen ganzen Schubkasten voll mit Feuerwerk. Er sagt, Inés hat tolle Brüste. Er sagt, es sind die tollsten Brüste auf der Welt. Er sagt, er wird sie wegen ihrer Brüste heiraten und sie werden Babys machen.«
    »Das sagt er, schau an! Nun, Inés wird ihre eigenen Vorstellungen zu dem Thema haben.«
    »Warum willst du nicht, dass Señor Daga Inés heiratet?«
    »Weil deine Mutter, wenn sie wirklich heiraten will, einen besseren Mann finden kann.«
    »Wen?«
    »Wen? Das weiß ich nicht. Ich kenne nicht alle Männer, die deine Mutter kennt. Sie muss viele Männer in La Residencia kennen.«
    »Sie mag die Männer in La Residencia nicht. Sie sagt, die sind zu alt. Wozu sind Brüste da?«
    »Eine Frau hat Brüste, damit sie ihrem Baby Milch geben kann.«
    »Ist Milch in den Brüsten von Inés? Werde ich Milch in meinen Brüsten haben, wenn ich groß bin?«
    »Nein. Du wirst zum Mann heranwachsen, und Männer haben keine Brüste, richtige Brüste. Nur Frauen geben Milch aus ihren Brüsten. Männerbrüste sind trocken.«
    »Ich will auch Milch haben! Warum kann ich keine Milch haben?«
    »Ich hab’s dir doch gesagt: Männer produzieren keine Milch.«
    »Was produzieren Männer?«
    »Männer produzieren Blut. Wenn ein Mann etwas aus seinem Körper geben will, dann gibt er Blut. Er geht in ein Krankenhaus und gibt sein Blut für Kranke und Menschen, die Unfälle gehabt haben.«
    »Damit es ihnen besser geht?«
    »Damit es ihnen besser geht.«
    »Ich werde Blut geben. Kann ich bald Blut geben?«
    »Nein. Du wirst warten müssen, bis du älter bist, bis du mehr Blut in deinem Körper hast. Es gibt noch etwas anderes, was ich dich fragen wollte. Hast du

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