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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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fährt er mit dem Kran schnell den Kai auf und ab, schwenkt den Arm, an dem munter der Haken schaukelt.
    »Ich habe ihm beigebracht, was ich kann«, berichtet der Kranführer Álvaro. »Lass ihn in den ersten paar Tagen vorsichtig damit umgehen, und er wird es packen.«
    Der Kranarm ist gerade lang genug, um auf das Schiffsdeck hinaufzureichen. Die Schauerleute bringen die Säcke wie zuvor einen nach dem anderen aus dem Laderaum hoch; aber statt sie die Planke hinunterzutragen, lassen sie die Säcke nun in eine Segeltuchschlinge fallen. Als die Schlinge zum ersten Mal voll ist, signalisieren sie das Eugenio mit einem Ruf. Der Haken greift in die Schlinge; das Stahlseil strafft sich; die Schlinge hebt sich über die Reling; und mit einer schwungvollen Bewegung lässt Eugenio die Last in einem weiten Bogen herum-und herunterschweben. Die Männer brechen in Beifallsrufe aus; doch der Beifall wird zu Alarmschreien, als die Schlinge gegen die Kaimauer prallt und außer Kontrolle zu kreiseln und schlingern anfängt. Die Männer laufen fort, alle außer ihm, Simón, der entweder zu geistesabwesend ist, um das Geschehen zu verfolgen, oder sich zu langsam bewegt. Er sieht noch kurz Eugenio, der aus der Kabine auf ihn herunterstarrt und Worte bildet, die er nicht hören kann. Dann bumst die schaukelnde Last gegen seine Taille und schleudert ihn nach hinten. Er taumelt gegen eine Deckstütze, stolpert über ein Seil und stürzt zwischen die Kaimauer und die Stahlplatten des Frachters. Einen Moment wird er da festgehalten und so eng eingeklemmt, dass das Atmen schmerzt. Es ist ihm nur allzu klar, dass das Schiff sich nur einen Zoll breit bewegen muss, dann wird er wie ein Insekt zerquetscht. Da lässt der Druck nach und er fällt mit den Füßen voran ins Wasser.
    »Hilfe!«, keucht er. »Helft mir!«
    Eine Rettungsboje klatscht neben ihm ins Wasser, mit leuchtend roten und weißen Streifen bemalt. Von oben ertönt Álvaros Stimme: »Simón! Hör zu! Halt dich fest und wir ziehen dich raus.«
    Er packt die Boje; wie ein Fisch wird er an der Kaimauer entlang in offenes Wasser gezogen. Wieder ruft Álvaro: »Halt dich gut fest, wir ziehen dich jetzt hoch!« Aber als die Boje allmählich hochschwebt, ist der Schmerz plötzlich zu stark. Sein Griff lockert sich und er fällt ins Wasser zurück. Er ist mit Öl bedeckt, es ist in seinen Augen, in seinem Mund.
Endet es so?
, fragt er sich.
Wie eine Ratte? Wie schmachvoll!
    Aber jetzt ist Álvaro neben ihm, im Wasser auf und nieder hüpfend, seine Haare sind mit Öl an die Kopfhaut geklebt. »Entspanne dich, alter Freund«, sagt Álvaro. »Ich halte dich fest.« Dankbar überlässt er sich Álvaros Armen. »Hochziehen!«, ruft Álvaro; und in enger Umarmung schweben sie beide aus dem Wasser.
    Er kommt zu sich und ist verwirrt. Er liegt auf dem Rücken und schaut in einen leeren Himmel. Verschwommene Gestalten sind um ihn und ein Durcheinander von Stimmen, doch er versteht kein Wort. Seine Augen fallen zu, er ist wieder fort.
    Er wacht bei einem klopfenden Geräusch auf. Das Geräusch kommt anscheinend aus seinem Inneren, aus seinem Kopf. »Wach auf,
viejo
!«, sagt eine Stimme. Er öffnet ein Auge, sieht über sich ein fettes, schwitzendes Gesicht.
Ich bin wach
, möchte er sagen, doch seine Stimme ist tot.
    »Schau mich an!«, sagen die fetten Lippen. »Kannst du mich hören? Zwinkere mit den Augen, wenn du mich hörst.«
    Er zwinkert.
    »Gut. Ich gebe dir jetzt eine schmerzstillende Spritze, dann bringen wir dich hier weg.«
    Schmerz stillen?
Ich habe keine Schmerzen
, will er sagen.
Warum sollte ich Schmerzen haben?
Aber was es auch ist, das für ihn spricht, will heute einfach nicht sprechen.
     
    Weil er Mitglied in der Gewerkschaft der Schauerleute ist – eine Zugehörigkeit, von der er nichts wusste –, hat er Anrecht auf ein Privatzimmer im Krankenhaus. Er wird in seinem Zimmer von einem Team freundlicher Schwestern gepflegt, und mit einer von ihnen, einer Frau mittleren Alters namens Clara, mit grauen Augen und einem stillen Lächeln, freundet er sich in den kommenden Wochen an.
    Es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass er bei seinem Unfall glimpflich davongekommen ist. Er hat drei Rippen gebrochen. Ein Knochensplitter hat einen Lungenflügel durchbohrt, und es war eine kleine Operation nötig, um ihn zu entfernen (ob er den Knochen zur Erinnerung behalten wolle? – er befindet sich in einem Fläschchen neben seinem Bett). Im Gesicht und auf dem Oberkörper sind

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