Die Klassefrau
presste die Lippen auf ihr Ohr. »Liebling, du bist es. Nur du.« Plötzlich fuhr er zurück. »O Gott!«
»Was? Was ist los?!«, rief Mallory und spürte das Entsetzen, das von ihm Besitz ergriffen hatte.
»Der Amokschütze! Komm!«
Er griff nach ihrer Hand und zog sie vom Sitz hoch, während die Leute um sie herum ärgerlich zischten. Dann rannte er auch schon wie von Furien gehetzt los und zerrte sie hinter sich her. Doch statt in Richtung Parkplatz zu laufen, führte er sie zu der Tür, die in das Einkaufszentrum führte, in dem das Kino untergebracht war.
»Der Amokschütze ist hier?«, rief sie entsetzt.
»Ja!«
»Woher weißt du -«
»Ich weiß es. Ich weiß es einfach!«
Natürlich wusste er es. Er arbeitete intensiv an diesem Fall, und mit seinen Fähigkeiten spürte er selbstverständlich, dass der Schütze in der Nähe war.
Sie liefen durch das Einkaufszentrum, stießen Leute beiseite, und Peters Griff um ihre Hand verstärkte sich zunehmend. Sie nahmen die schockierten Blicke und die Flüche nicht wahr, ebenso wenig wie die Witze, wo denn das Feuer ausgebrochen sei.
Und plötzlich hörten sie die Schüsse und die Schreie.
Peter fluchte.
Mallory spürte, wie eine Woge der Übelkeit in ihr aufstieg. Der Wechsel von Leidenschaft war so abrupt gewesen, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte, sondern nur noch aus lähmender Angst zu bestehen schien.
Am nördlichen Ende der Freifläche, die von Schnellimbiss-Restaurants gesäumt war, kam Peter schlitternd zum Stehen. Mallory sah, dass zahlreiche Tische in der Mitte der Freifläche besetzt waren. Plötzlich fiel ihr Blick auf den Mann in dem grauen Regenmantel, der an den Eingangstüren stand und seelenruhig in die Menge schoss.
Peter ließ Mallorys Hand so schnell los, dass sie beinahe gestürzt wäre.
»Stehen bleiben! Polizei!«, brüllte er mit gezogener Waffe, die er plötzlich in der Hand hielt und auf den Schützen richtete, der sich bereits rückwärts zur Tür bewegte. »Stehen bleiben! Polizei!«, schrie er wieder und feuerte, als der Schütze bereits halb durch die Tür war.
Und dann war er verschwunden.
Peter stieß noch einen Fluch aus, packte mit der freien Hand Mallory bei der Schulter und schüttelte sie, damit sie ihn ansah. Seine blauen Augen bohrten sich in ihre, durchdrangen ihre Angst und sorgten dafür, dass sie sich aus ihrer Erstarrung löste. »Ruf die Mordkommission an. Frag nach Captain George Bennett. Sag ihm, was passiert ist. Los, Mallory!«
Ihr Verstand begann wieder zu arbeiten. »Peter, du kannst ihn nicht verfolgen!«
»Ich muss aber«, rief er und rannte bereits auf die Tür zu, die der Schütze benutzt hatte.
»Peter, nein !« Mallory starrte ihm nach. »Er wird dich umbringen«, wisperte sie.
Allmählich drangen die Schreie der Verwundeten und Sterbenden, der Trauernden und der Augenzeugen in ihr Bewusstsein, und sie sah sich hektisch nach den Telefonzellen um. Schließlich entdeckte sie sie neben der Filiale von Burger King und wählte mit zitternden Fingern die Nummer der Mordkommission.
Es vergingen quälende zwanzig Sekunden, ehe Captain George Bennett am Apparat war, dem sie mit knappen Worten schilderte, was passiert war. Er sagte nur: »Wir sind unterwegs«, und legte auf. Sie wandte sich um, sah all das Blut, das Entsetzen und den Tod. Alte Bekannte, dachte sie. Mit einem Mal war ihre Angst verflogen. Sie wusste, was sie zu tun hatte.
Sie zeigte Freunden und Verwandten von Opfern, wie sie den Verwundeten provisorische Druckverbände anlegen mussten, während sie versuchte, ein Lebenszeichen von Peter zu spüren. Erleichtert und voller Dankbarkeit empfing sie ein Zeichen, das aus etwa einer halben Meile Entfernung in ihr Bewusstsein drang. Er war noch am Leben. Der Schütze hatte ihn nicht getötet. Jedenfalls noch nicht. Sie hielt die Verbindung zu Peter mit aller Kraft aufrecht, auch als sie den Puls einer älteren Frau überprüfte, obwohl sie bereits wusste, dass sie tot war.
Sie hörte die Sirenen auf dem Parkplatz, während sie sich neben einem Mädchen im Teenageralter hinkniete, aus deren Wunde an der Schulter Blut strömte und deren Haut sich kalt und klamm vom Schock anfühlte. Da die Kugel direkt durchgeschlagen war, stopfte sie dem Mädchen einen Packen Servietten vor und hinter die Wunde und sorgte dafür, dass sie sich hinlegte. Dann bat sie ihren Freund, ihr seine Jacke zu geben. Der schlaksige und pickelige Junge konnte kaum älter als sechzehn sein. Er schlotterte am
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