Die Klaue des Schlichters
Felsbrocken um sich werfen. Vielmehr werben sie mit ihren Gedanken Gefolgsleute an, die sie auf alles hetzen, was ihnen die Herrschaft streitig macht.«
Jonas öffnete daraufhin die Gaststubentür und verschwand im Menschengewühl der Straße; ich blieb sitzen, wo ich war, den Ellbogen auf unseren geplünderten Frühstückstisch gestützt, und besann mich des Traumes, den ich als Baldanders Bettgenosse erlebt hatte. Das Land kann uns nicht tragen, hatten die Riesenweiber gesagt.
Nun bin ich in meiner Geschichte an eine Stelle gelangt, wo ich nicht umhin kann, etwas niederzuschreiben, was ich bisher größtenteils umgangen habe. Euch, die ihr sie lest, muß aufgefallen sein, daß ich nicht gezögert habe, in allen Einzelheiten Ereignisse zu schildern, die sich vor Jahren zugetragen haben, und wortwörtlich die Reden und Antworten von mir und den anderen anzuführen; und ihr werdet es für ein konventionelles Stilmittel erachtet haben, das ich einsetze, um meine Geschichte flüssiger zu gestalten. Die Wahrheit lautet, daß ich mit dem Fluch eines sogenannten vollkommenen Gedächtnisses behaftet bin. Wir können uns nicht, so wird einem zuweilen törichterweise beteuert, an alles erinnern. Ich kann mich zum Beispiel nicht entsinnen, in welcher Reihenfolge die Bücher von Meister Ultans Bibliothek in den Regalen gestanden haben. Aber ich kann mich an mehr erinnern, als viele glauben würden: die Lage eines jeden Gegenstandes auf einem Tisch, an dem ich als Kind vorbeigegangen bin, und sogar daran, daß ich mir ein bestimmtes Bild schon einmal ins Gedächtnis zurückgerufen habe, und wie dieses erinnerte Geschehnis sich von der Erinnerung, die ich jetzt habe, unterschieden hat.
Es ist mein Erinnerungsvermögen gewesen, das mich zum Lieblingsschüler von Meister Palaemon gemacht hat, und es ist wohl auch verantwortlich für das Zustandekommen dieser Erzählung, denn hätte er mich nicht begünstigt, wäre ich nicht, sein Schwert tragend, nach Thrax entsandt worden.
Manche sagen, ein solches Gedächtnis sei mit mangelndem Urteilsvermögen verknüpft – darüber zu richten, steht mir nicht zu. Es liegt jedoch noch eine andere Gefahr darin, der ich oft begegnet bin. Wenn ich mich in die Vergangenheit zurückversetze, wie ich es nun tue und wie ich es damals getan habe, als ich mich des Traumes habe zu entsinnen versucht, erinnere ich mich so gut, daß ich mich scheinbar wieder zu dem verflossenen Tag, dem alten neuen Tag, bewege und ihn jedesmal unverändert an die Oberfläche meines Verstandes befördere, wobei seine Abbilder so real wie ich sind. Wenn ich nun die Augen schließe, kann ich sogar in Theclas Zelle treten, wie ich es eines Winterabends getan habe; und bald fühlen meine Finger die Wärme ihres Gewandes, während der Duft ihres Leibes wie der Duft von Lilien, die an einem warmen Feuer stehen, mir in die Nase steigt. Ich hebe das Gewand von ihr und umfange diesen elfenbeinernen Leib, so daß ich ihre Brustwarzen an meinen Wangen spüre …
Seht ihr? Es ist sehr einfach, Stunden und Tage mit solchen Erinnerungen zu vergeuden, und manchmal versinke ich so tief darin, daß ich betäubt und berauscht bin. So war es auch nun. Die Schritte, die ich in der. Höhle der Menschenaffen vernommen hatte, hallten noch durch mein Denken, und ich kehrte, nach einer Erklärung forschend, zu meinem Traum zurück in der Gewißheit, seinen Ursprung zu kennen, und in der Hoffnung, er habe mehr enthüllt als von seinem Schöpfer beabsichtigt.
Abermals besteige ich das Roß mit den ledernen Schwingen und der knöchernen Mitra. Unter uns fliegen Pelikane mit steifen, feierlichen Flügelschlägen, und kreischende Möwen ziehen ihre Kreise.
Abermals stürze ich, purzle abgrundtief durch die Luft, rase, zwischen Wellen und Wolken treibend, dem Meer zu. Ich beuge meinen Körper, bringe den Kopf nach unten, ziehe die Beine wie ein Banner hinter mir her, tauche ins Wasser und sehe im klaren Blau das schwimmende schlangenhaarige Haupt und das vielköpfige Ungeheuer und den wirbelnden Sandgarten weit unten. Die Riesinnen strecken baumstammdicke Arme mit purpurroten Krallen an den Fingern empor. Sodann verstand ich, der ich blind gewesen war, mit einemmal, weswegen mir Abaia diesen Traum geschickt hatte, warum er mich in diesem großen und letzten Krieg der Urth hatte anzuwerben versucht.
Aber nun überwältigte die Macht meines Gedächtnisses meinen Willen. Obschon ich die titanischen Haremssklavinnen und ihren Garten sehen
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