Die Klaue des Schlichters
sich in seine Kajüte und verriegelte die Tür. Nun ließ der Jüngling, der sein Stellvertreter war, das Schiff wenden, um zur weißen Kalotte der Prinzessin zurückzukehren; gleichfalls ließ er die Verwundeten verbinden, die Pumpen in Gang setzen und alle Reparaturen, die ausgeführt werden konnten, in Angriff nehmen. Aber die Toten behielt er an Bord, auf daß sie auf hoher See ein Grab fänden.
FÜNFTER TEIL
Der Tod des Studenten
Vielleicht war der Kanal nicht so gerade, wie sie glaubten. Oder sie hatten, ohne es zu merken, in der Schlacht die Orientierung verloren. Oder die Kanäle schlängelten und drehten sich (wie einige mutmaßten) wie Würmer in einer Nuß, wenn kein Auge es sah. Was immer davon wahr sein mochte, sie dampften den ganzen Tag – denn der Wind hatte sich gelegt – nur um im letzten Tageslicht zu sehen, daß sie zwischen fremden Inseln kreuzten.
Die Nacht über gingen sie vor Anker. Als der Morgen graute, rief der Maat alle zu sich, die den besten Rat geben könnten; aber keiner davon hatte einen anderen Vorschlag als den aus Träumen fleischgewordenen Jüngling herbeizurufen (was ihnen mißfiel) oder weiterzufahren, bis sie die offene See oder die Kalotte der Prinzessin erreichten.
Das taten sie den ganzen Tag, um einen geraden Kurs bemüht, aber ob der vielen Biegungen fuhren sie zwangsläufig im Kreise. Als die nächste Nacht anbrach, war ihre Lage nicht besser als zuvor.
Aber am Morgen des dritten Tages kam der aus Träumen fleischgewordene Jüngling aus seiner Kajüte und schritt an Deck auf und ab, begutachtete die bisher reparierten Schäden und erkundigte sich bei jenen, die wegen ihrer Schmerzen schon wach waren, nach dem Befinden. Dann traten der Maat und alle, die ihn beraten hatten, vor ihn und legten dar, was sie getan, und fragten, wie sie das Meer wiederfänden, auf daß sie ihre Toten begraben und in die Stadt der Zauberer heimkehren könnten.
Hierauf richtete er seinen Blick gen Himmel. Und manche glaubten, er bete, und andere, daß er den Zorn, den er gegen sie hegte, zu bändigen suchte, und wieder andere, daß er sich von daher eine Eingebung erhoffte. So lange indes starrte er empor, daß sie furchtsam wurden, ganz wie ehedem, als er ins Wasser gespäht hatte, und der eine oder andere schlich sich langsam fort. Dann sagte er zu ihnen: »Schaut! Seht ihr nicht die Seevögel? Von allen Himmelsrichtungen fliegen sie herbei. Folget ihnen!«
Bis zum späten Vormittag folgten sie den Vögeln, insofern als die gewundenen Kanäle dies zuließen. Und schließlich sahen sie sie vor sich kreisen und zum Wasser niederstoßen, so daß ihre weißen Flügel und schwarzen Köpfchen wie eine tiefhängende Wolke wirkten, die außen schön, aber innen gewittrig war. Dann hieß der aus Träumen fleischgewordene Jüngling sie, einen Mörser nur mit Pulver zu laden und abzufeuern; und als der Böller krachte, stiegen diese Vögel allesamt kreischend und zeternd auf. Und wo sie gewesen waren, gewahrte die Besatzung ein großes Aas, das im Wasser trieb und anscheinend ein Landtier war, denn es hatte, wie sie glaubten, einen Kopf und vier Beine. Es war indes weitaus größer als irgendein Elefant.
Als sie dicht herangelangt waren, ließ der Jüngling ein Boot wassern, und als er an Bord kletterte, sahen sie, daß er sich in den Gürtel einen großen Dolch gesteckt hatte, dessen Klinge in der Sonne blitzte. Eine Weile hantierte er an dem Aas, und als er wiederkehrte, trug er bei sich eine Karte, die größte, die ein jeder von ihnen gesehen hatte, aufgezeichnet auf roher Haut.
Bei Dunkelheit erreichten sie die Kalotte der Prinzessin. Alle warteten an Bord, so lange ihre Mutter sie besuchte; aber als diese schreckliche Frau gegangen war, begaben sich alle, die gehen konnten, an Land, und die Kornjungfern umringten sie, ihrer hundert für jeden Jüngling, und der aus Träumen fleischgewordene Jüngling schloß die Tochter der Nacht in seine Arme und führte im Tanze den Reigen an. Unvergeßlich blieb ihnen diese Nacht.
Als der Tau fiel, ruhten sie unter den Bäumen im Garten der Prinzessin zwischen den hohen Blumen. So schliefen sie noch eine Weile, aber als am Nachmittag die Schatten ihrer Masten nach hinten fielen, waren sie wach. Dann sagte die Prinzessin der Insel Lebewohl und gelobte, nie mehr zu ihr zurückzukehren, gleichwohl sie jedes Land bereisen wolle, das ihre Mutter betrete; und die Kornjungfern gelobten selbiges. Es waren ihrer vielleicht mehr, als das Schiff bergen
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