Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
brandenburgische Dörfer und Wälder nördlich von Berlin. Der junge Russe dirigiert sie Stunde um Stunde über kaum befahrene Landstraßen und Feldwege. Aber die Stelle, an der er die Leiche abgelegt hat, findet er nicht wieder.
Dabei kann er den Ort ganz genau beschreiben. Eine unbefestigte Straße führt in ein schmales Waldstück. Neben dem Fahrweg ist eine Senke, in der er die Tote abgelegt hat. »Ich habe sie mit Laub und Ästen bedeckt. Vorher habe ich sie aus der Plastiktüte gezogen und in eine Fangodecke gewickelt«, erzählt er den Kriminalbeamten. »Ich konnte sie doch nicht so nackt da draußen liegen lassen.«
Hauptkommissar Heitner sieht ihn scharf an. »Nackt?«, wiederholt er. »Waren Sie mit Frau Kritovna intim, bevor Sie sie getötet haben?«
»Sie meinen, ob wir Sex hatten?« Sascha Wassilow schüttelt den Kopf. »So war unsere Beziehung nicht«, behauptet er. »Als Frau hat sie mich nicht interessiert. Wir haben uns gut verstanden, weiter war da nichts.«
»Und warum war sie dann nackt?«, hakt Sonja Mahlow nach. »Haben Sie die Leiche entkleidet? Oder war Dunja schon nackt, als Sie sie getötet haben?«
Sascha Wassilow sieht nachdenklich vor sich hin. »Ich weiß es nicht«, wiederholt er schließlich nur. »Ich hatte Unmengen Alkohol getrunken, und ich vertrage das Zeugs einfach nicht. Ich erinnere mich, wie Dunja von ihrem Telefongespräch mit der Tante wieder ins Zimmer kam. Und als Nächstes weiß ich erst wieder, wie sie in der Plastiktüte vor mir am Boden lag.«
Hauptkommissar Heitner glaubt ihm weder seine Gedächtnislücke noch den angeblich exzessiven Alkoholkonsum. »Sie sind vorläufig festgenommen«, verkündet er. »Sie werden verdächtigt, Dunja Kritovna ermordet zu haben.«
Sascha Wassilow hört es sich ohne erkennbare Gemütsregung an. Und er verzieht auch keine Miene, als ihm der Anstaltsarzt in der JVA Berlin-Moabit gegen 21 Uhr eine Blutprobe entnimmt.
Das Ergebnis ist negativ. Sascha hat 0,0 Promille Alkohol im Blut.
Das Spurensicherungsteam findet am Tatort zahlreiche aussagekräftige Blutspuren. Nach der Tat hat Sascha Wassilow die gesamte Praxis gründlich gereinigt. Aber das sprühbare Blutnachweismittel Leukomalachitgrün macht selbst winzige, für das bloße Auge nicht erkennbare Blutspritzer sichtbar.
Die Spezialisten finden blutige Fußabdrücke, die vom kleinen Flur zur Doppelliege im Behandlungsraum Nummer 6 führen. Offenbar ist jemand von der Küche oder vom Bad barfuß durch das Blut des Opfers gelaufen. An der Wand neben der Tür zum kleinen Flur stellen sie eine auffällige Häufung von feinen Blutspritzspuren fest. Ihr Zentrum befindet sich in 70 Zentimeter Höhe, und sie reichen bis zur 2,40 Meter hohen Decke hinauf. Aus Verteilung und Form dieser Spritzer schließen die Kriminaltechniker, dass Dunja Kritovna neben der Tür auf dem Boden gesessen oder gekauert haben muss, während der Täter ihr mit den Fäusten oder einem stumpfen Gegenstand mehrfach in eine bereits blutende Kopfwunde schlug. Ein einzelner Schlag auf den Kopf, auch mit einem scharfen oder kantigen Gegenstand und mit voller Wucht, führt niemals dazu, dass Blut durch die Gegend spritzt. Erst wenn erneut in die dann blutende Wunde geschlagen wird, wird das Blut am Geschehensort verteilt.
Die Untersuchung des Renault Clio fördert weniger spektakuläre Ergebnisse zutage. Sascha Wassilow hat ausgesagt, dass er die in Plastik verpackte Leiche im Fond des Wagens in den Fußraum gelegt habe. Tatsächlich finden sich dort intensive Blutanhaftungen. Außerdem stellen die Kriminaltechniker eine schwarze Kunstlederbörse und ein Nokia-Handy älterer Bauart sicher. Beide Gegenstände gehörten Dunja Kritovna. Ihre sonstigen Habseligkeiten – ihre Handtasche und insbesondere ihre Kleidung – können die Spezialisten jedoch weder im Auto noch in der Praxis auffinden.
Am folgenden Montag begibt sich Hauptkommissar Heitner in die Justizvollzugsanstalt Moabit, wo Wassilow im Trakt für Untersuchungsgefangene einsitzt. Auch bei dieser Vernehmung zeigt sich der junge Russe ruhig und gefasst.
Ob ihm wieder eingefallen sei, wo er die Leiche von Dunja Kritovna abgelegt habe, will Heitner von ihm wissen. Sascha Wassilow schüttelt den Kopf. Der Hauptkommissar fordert ihn auf, noch einmal alles zu schildern, was sich am Freitagabend ereignet habe.
Wassilow berichtet, wie er Dunja um 19 Uhr am Bahnhof Zoo abgeholt hat und wie sie den Abend zusammen verbracht haben. Er erinnert sich an
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