Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
soll sich denn sonst in der Plastiktüte befunden haben?, fragt sich Vera Markov.
»Komm mal her und schau dir das an!«, reißt Valerij Sobotkin sie aus ihren Gedanken. »Das ist doch Blut, oder wie siehst du das?«
Frau Markov eilt in den Behandlungsraum Nummer 6. Die Wand neben der Tür zum kleinen Flur ist bis zur Decke hinauf mit Blut bespritzt. Offenbar hat Sascha versucht, auch diese Blutspuren zu beseitigen. Aber damit hat er die Spritzer auf der Tapete nur zu Schlieren verwischt.
»Wir müssen die Polizei rufen«, sagt Vera Markov.
Wieder nimmt sie ihr Mobiltelefon zur Hand und wählt mit zitternden Fingern die 110.
Um kurz nach neun Uhr trifft Sascha Wassilow bei der Praxis ein. Er parkt den Renault Clio ordentlich neben dem Seiteneingang und schließt die Fahrertür ab.
Vera Markov und ihr Vater sehen ihm angespannt entgegen. Aber der junge Mann wirkt noch immer ruhig und gefasst. Seine Hände sind allerdings mit Erde und Blut verschmiert.
Noch bevor sie ihn fragen können, was genau in der Nacht passiert ist, treffen ein Streifenwagen und ein Zivilfahrzeug der Polizei ein. Hauptkommissarin Susanne Hegemann und ihr Kollege Kommissar Oliver Haubold übernehmen die Befragung.
Auch auf die Polizisten macht der junge Mann einen besonnenen Eindruck. Er zeigt seinen Pass und seine Aufenthaltsgenehmigung und beginnt zu berichten, was sich in der Nacht und heute früh ereignet hat.
Oder vielmehr die wenigen Bruchstücke, an die er sich angeblich nur noch erinnert.
»Ich habe Dunja getötet«, sagt er. »Ich habe ihre Leiche in ein Waldstück gebracht – draußen vor der Stadt.«
Mit blut- und schlammverschmierter Hand macht er eine vage Bewegung in Richtung Norden. Susanne Hegemann fällt auf, dass auch sein linkes Schienbein, das unter dem hochgerutschten Hosenbein hervorsieht, mit angetrockneten Blutspuren beschmutzt ist.
Also hat er die Hose nicht angehabt, während er Dunja Kritovna umgebracht hat, überlegt die Hauptkommissarin. Aber sie behält diesen Gedanken erst einmal für sich. Stattdessen fragt sie Sascha Wassilow, ob er die Stelle wiederfinden könne, an der er die Leiche abgelegt habe.
Der junge Russe bejaht.
»Und sind Sie bereit, uns dorthin zu führen?«, hakt Kommissar Haubold nach.
Wieder nickt Sascha Wassilow.
»Gehen wir«, sagt Oliver Haubold.
»Wir nicht«, bremst die Hauptkommissarin ihren jungen Kollegen. »Wir übergeben den Fall an die Mordkommission.«
Kriminalhauptkommissar Tom Heitner und Kriminaloberkommissarin Sonja Mahlow von der 4. Mordbereitschaft des Landeskriminalamtes Berlin treffen eine Stunde später in der Physiotherapie-Praxis in Reinickendorf ein. Auch die beiden Kripobeamten registrieren sofort, dass Sascha Wassilow für einen geständigen Mörder oder Totschläger ungewöhnlich gefasst wirkt.
Sein Atem riecht nicht nach Alkohol. Er spricht mit klarer Stimme, wenn auch langsam und mit starkem Akzent. Den angebotenen Dolmetscher lehnt er ab. »Ich verstehe alles, was Sie sagen«, erklärt er.
»Dann erzählen Sie uns doch mal, was passiert ist«, antwortet Heitner. »Damit wir es auch verstehen.«
Sascha Wassilow zuckt mit den Schultern. »Ich weiß es nicht mehr«, sagt er. »Sehen Sie diese Kratzer und Schwellungen auf meinen Händen?« Er hält Heitner seine Fäuste unter die Nase. »Ich muss Dunja geschlagen haben«, fährt er fort. »Aber ich kann mich nicht erinnern, warum und wie.«
Heitner und seine Kollegin Mahlow wechseln einen Blick. Doch der Hauptkommissar lässt es dabei vorerst bewenden. Vielleicht hat Wassilow tatsächlich Erinnerungslücken, vielleicht täuscht er den Filmriss auch nur vor. Das wird sich zu gegebener Zeit schon noch herausstellen, sagt sich der Kriminalbeamte.
Zunächst einmal müssen sie die Leiche finden. Bisher steht noch nicht einmal fest, ob sie es überhaupt mit einem Gewaltverbrechen zu tun haben. Und nicht etwa nur mit einer vorgetäuschten Straftat. Vielleicht wollten sich die jungen Leute ja einen Spaß mit den Markovs erlauben. Aber das glaubt der erfahrene Hauptkommissar eigentlich nicht. Diesen ernsthaften jungen Mann kann er sich einfach nicht vorstellen, wie er vor der Überwachungskamera mit seiner Freundin einen Pseudo-Mord inszeniert, um seine Gasteltern zum Narren zu halten.
Von seiner Dienststelle fordert er ein Spurensicherungsteam an, das die Praxis und das Firmenfahrzeug kriminaltechnisch untersuchen soll. Währenddessen fahren die beiden Kriminalbeamten mit Wassilow kreuz und quer durch
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