Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
ich Hellmann und seinen Kollegen von der fast vollständig erschienenen »Soko Phantom« in allen Einzelheiten, was meine Untersuchung der angeblich Geschädigten ergeben hat. »Die ganze Geschichte ist erstunken und erlogen. Sie hat sich sämtliche Verletzungen selbst beigebracht«, erkläre ich meinen erstaunten Zuhörern. »Die Schnittwunden, die ihr der angebliche Täter zugefügt hat, sind allesamt oberflächlich und überwiegend bloße Kratzer. Außerdem befinden sie sich an wenig schmerzempfindlichen Stellen, die für die schnittführende Hand leicht erreichbar sind. Herr Hellmann«, wende ich mich an den Oberkommissar, »erinnern Sie sich, dass diese Verletzungen parallel zueinander angeordnet sind? Das alles ist typisch für Selbstbeibringung.«
Ich lege eine kurze Pause ein. Die meisten Anwesenden können ihre Verblüffung kaum verbergen.
»Außerdem wurden Frau Falk«, fahre ich fort, »offensichtlich alle Verletzungen mit der gleichen Intensität zugefügt. Wie soll das zugegangen sein? Versetzen Sie sich einmal in die Lage des Opfers. Wenn jemand Sie vergewaltigen will, mit einem großen Messer vor Ihnen herumfuchtelt und anfängt, Sie damit zu verletzen, dann haben Sie doch Todesangst. Also bleiben Sie nicht still liegen, sondern strampeln und versuchen, der Klinge zu entgehen. In dieser Situation ist es unmöglich, dass alle Schnitte die gleiche Tiefe haben und auch noch so schön parallel zueinander angeordnet sind. Und Abwehrverletzungen hat Frau Falk überhaupt keine.«
Die Beamten schauen mich jetzt beinahe erschrocken an. Ich kann mir vorstellen, was ihnen durch den Kopf geht.
»Das mit den fehlenden Abwehrverletzungen ist mir auch aufgefallen, aber …«, wirft Hellmann ein.
»Und das mit der Plastiktüte«, unterbreche ich ihn, »stimmt genauso wenig wie alles andere an dieser Geschichte. Wenn Sie bewusstlos geworden sind, weil Ihnen jemand eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt hat, und wenn die Plastiktüte mit einem Schal um den Hals fixiert ist, so dass Sie keine Luft mehr bekommen, können Sie nur dann das Bewusstsein wiedererlangen, wenn ein Dritter Sie von der Tüte befreit hat.«
Knapp vierzig Augenpaare starren mich entgeistert an. »Aber das Feuer – wollen Sie sagen, das hat Frau Falk auch selbst gelegt?«, fragt mich Hellmann kopfschüttelnd.
Allen in diesem Raum Versammelten – außer mir selbst – ist sichtlich unwohl bei dieser Wendung des Falls.
»Wie das Feuer ausgebrochen ist«, antworte ich, »kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war genauso wenig dabei wie Sie alle hier. Aber ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass es keinen maskierten Feuerteufel gibt, der Frau Falk überfallen, mit einem Messer verletzt und ihr dann eine Tüte über den Kopf gezogen hat. Ich denke, Ihre Soko kann für heute Feierabend machen.«
Kriminaloberkommissar Hellmann geht nach nebenan, um zu telefonieren. Wenige Minuten später kehrt er in den Versammlungsraum zurück.
»Fehlanzeige«, sagt er. »Ich habe Dr. Höppner in allen Einzelheiten erklärt, was Sie herausgefunden haben, Herr Professor. Aber er hat alles vom Tisch gewischt und verkündet, dass die Sonderkommission so lange weiterermitteln und fahnden wird, bis sie den Schwerverbrecher gefunden hat.«
Ich schüttele den Kopf, enthalte mich aber jeden weiteren Kommentars. Da Verena Falk eine so einflussreiche Schwester hat, wagen es die Verantwortlichen offenbar nicht, ihre Angaben in Zweifel zu ziehen. Dabei liegt es für mich auf der Hand, dass sich in dieser Sache nur eine Person strafbar gemacht hat: Verena Falk.
Am nächsten Vormittag klingelt mein Telefon im rechtsmedizinischen Institut. Wieder ist Kriminaloberkommissar Hellmann aus Sanden am anderen Ende der Leitung.
»Die ›Soko Phantom‹ wurde gerade eben aufgelöst«, berichtet er. »Heute Morgen ist der Ehemann von Verena Falk bei uns auf der Dienststelle erschienen. Herr Falk ist aus beruflichen Gründen viel unterwegs und erst gestern Abend von einer Geschäftsreise aus Österreich zurückgekommen. Er ist gleich in die Klinik gefahren, und da hat ihm seine Frau gebeichtet, dass sie die Geschichte von vorne bis hinten erfunden hat.«
»Na, so eine Überraschung«, werfe ich ein.
»Es war alles ganz genauso, wie Sie es gestern gesagt haben«, fährt Hellmann fort. »Sie hat zugegeben, dass sie sich die Verletzungen selbst zugefügt und das Feuer gelegt hat. Nur ist das Ganze dann außer Kontrolle geraten. Und jetzt begreift sie selbst nicht mehr, was sie
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