Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
als sie ihr Bewusstsein wiedererlangte«, fasst er zusammen, was ihm Verena Falk geschildert hat. »Glücklicherweise ist sie noch rechtzeitig zu sich gekommen und konnte sich von der Plastiktüte über ihrem Kopf befreien. Sonst wäre sie höchstwahrscheinlich verbrannt.«
Zuerst glaube ich, mich verhört zu haben. »Wie war das mit der Plastiktüte?«, frage ich. »Haben Sie gesagt, die Frau war bewusstlos, weil der Täter ihr eine Plastiktüte über den Kopf gezogen hatte?«
»Ganz genau«, bestätigt Hellmann. »Der Täter hat eine Plastiktüte über ihren Kopf gezogen, mit einem Schal um ihren Hals befestigt und den Schal so fest zugezogen, dass sie das Bewusstsein verlor. Als sie wieder zu sich kam …«
»So kann das nicht gewesen sein«, falle ich ihm ins Wort. »Wenn Sie mit einer Plastiktüte über dem Kopf das Bewusstsein verlieren, dann sterben Sie, wenn niemand anderes die Plastiktüte entfernt. Sie selbst können das logischerweise nicht machen, denn Sie sind ja nicht bei Bewusstsein. Und das Bewusstsein können Sie wegen der Plastiktüte über ihrem Kopf auch nicht wiedererlangen. Das haut nicht hin. Das ist so, wie die Frau es Ihnen geschildert hat, schlichtweg nicht möglich.«
»Sie glauben also, dass sie nicht die Wahrheit gesagt hat?«, fragt Hellmann und klingt auf einmal ziemlich aufgeregt.
»Ich würde mir die Dame gerne mal ansehen. Insbesondere die Schnittverletzungen, die der Täter ihr zugefügt hat«, erwidere ich. »Danach sage ich Ihnen, wie ich die Sache sehe. Aber eines steht für mich jetzt schon fest: So wie Sie mir das mit der Plastiktüte eben erzählt haben, kann es nicht gewesen sein.«
Am frühen Abend desselben Tages treffe ich mich mit Kriminaloberkommissar Hellmann und seiner Kollegin Silke Gerold im Foyer der städtischen Klinik von Sanden. Die Kriminalkommissarin wird bei der Untersuchung der Geschädigten dabei sein.
Den Staatsanwalt und die Soko Phantom, erklärt mir Hellmann im Lift nach oben, habe er vorläufig noch nicht informiert. »Ich wollte abwarten, was Sie sagen.«
Mit Silke Gerold vereinbare ich, in Gegenwart von Frau Falk nicht über verdächtige Befunde zu sprechen. »Wenn ich zu Ihnen sagen sollte: ›Erinnern Sie mich daran, dass wir gleich auf Ihrer Dienststelle noch etwas besprechen müssen‹, dann habe ich etwas entdeckt, das nicht zu Frau Falks Schilderung des Tathergangs passt.«
Kriminaloberkommissar Hellmann stellt mich Verena Falk vor und erklärt, dass sie als Geschädigte einer schweren Straftat routinemäßig untersucht werde. Dann zieht er sich aus ihrem Krankenzimmer zurück.
Ich bitte Frau Falk, mir die Verletzungen zu zeigen, die ihr der Maskierte mit dem Messer zugefügt hat. An der Haut im Bereich des Brustbeins und an der Innenseite des rechten Oberschenkels hat die Frau mehrere parallel zueinander gestellte, oberflächliche Schnittverletzungen. Für den geschulten Blick ist sofort erkennbar, dass es sich ausnahmslos um selbst zugefügte Verletzungen handelt.
»Erinnern Sie mich bitte daran«, sage ich zu Silke Gerold, »dass wir nachher auf Ihrer Dienststelle noch etwas besprechen wollten.«
Sie wirft mir einen Blick zu, hält kurz die Luft an und nickt.
»Schildern Sie uns doch bitte noch einmal, wie der Täter Ihnen die Plastiktüte über den Kopf gezogen hat«, fordere ich Verena Falk auf.
»Der Mann hatte plötzlich diese Plastiktüte in der Hand«, antwortet sie. »Er hat sie mir blitzschnell über den Kopf gezogen. Ich habe dann noch gespürt, wie er mir etwas um den Hals gebunden und fest zugezogen hat. Ich bekam keine Luft mehr, und dann wurde es um mich herum schwarz.«
»Und als Sie zu sich kamen, steckte Ihr Kopf noch in der Plastiktüte?«, frage ich nach.
»Das habe ich doch alles schon Herrn Hellmann erzählt«, antwortet sie mit müder Stimme. »Ich wachte auf und spürte immer noch diesen Druck am Hals. Dann habe ich mir den Schal heruntergezerrt und die Tüte entfernt.«
Ich nicke Silke Gerold zu.
»Danke, Frau Falk«, sagt die Kriminaloberkommissarin. »Ich denke, das war’s.«
Im Lift nach unten schauen mich die beiden Kripobeamten erwartungsvoll an.
»Vorgetäuscht!«, sage ich.
»Kein Zweifel?«, fragt Hellmann.
Ich schüttele den Kopf. »Nicht der geringste Zweifel.« Wir sind nicht allein im Aufzug, und in einer Kleinstadt wie Sanden ist es ratsam, in der Öffentlichkeit seine Zunge zu hüten. Zumal bei einem so spektakulären Fall.
Im Versammlungsraum der Kripo-Dienststelle erläutere
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