Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
ein großes Messer – ein Küchenmesser oder so etwas.«
Frau Falk wirkt immer noch reichlich fahrig. Sie spricht stockend und lacht zwischendurch ohne erkennbaren Anlass auf. Dann wieder unterbricht sie sich unvermittelt und starrt vor sich hin.
»Geh nach hinten!«, habe der Mann gesagt und mit dem Messer hinter sie gezeigt. »Wir standen vorn im Verkaufsraum, und er wollte, dass ich weiter nach hinten in den Lagerraum durchgehe. ›Jetzt wollen wir beide Spaß haben‹, hat er dann zu mir gesagt. ›Zieh dich aus!‹«
Verena Falk starrt erneut ins Leere. Der Maskierte habe mit dem Messer vor ihrem Gesicht herumgefuchtelt, fährt sie schließlich fort. »Ich zog meine Jeans aus, und darauf er: ›Na los, weiter. Zieh dich aus, du Schlampe!‹«
Hellmann lässt sie reden. Zunächst einmal soll die Geschädigte möglichst spontan und unbeeinflusst schildern, wie sie das Geschehene erlebt hat.
Wie gelähmt vor Angst habe sie dagestanden und ihn einfach nur angesehen. Er habe ihr mit dem Messer Bluse und BH aufgeschnitten. Dabei habe er sie mit dem Messer verletzt, allerdings nur oberflächlich. Sie zieht den bordeauxroten Hausmantel vor ihrer Brust leicht auseinander und deutet mit einem Kopfnicken auf mehrere Pflaster zwischen ihren Brüsten.
Dann habe der Maskierte ihr befohlen, sich auf den Boden zu legen. »Er hat versucht, mich zu vergewaltigen.« Er habe sich auf sie gelegt, ohne ein Wort. »Aber irgendwie schaffte er es nicht, sich in Erregung zu versetzen. Jedenfalls hat es nicht funktioniert. Da ist er richtig wütend geworden und hat mich mit dem Messer geschnitten.« Sie zieht ihren Hausmantel im Schrittbereich auseinander und zeigt Hellmann ein großflächiges Pflaster an der Innenseite ihres rechten Oberschenkels.
Der Mann sei wieder aufgestanden, fährt Verena Falk fort, und habe sie angeschrien: »Das wirst du bereuen!« Plötzlich habe er eine Plastiktüte in der Hand gehabt. »Er zog sie mir über den Kopf und band mir etwas um den Hals – meinen eigenen Wollschal, wie ich mittlerweile weiß. Den Schal zog er so fest um meinen Hals zusammen, dass ich fast erstickt bin. Ich bekam keine Luft mehr und wurde bewusstlos.«
Unauffällig mustert Hellmann die Handflächen und Unterarme von Verena Falk. Er kann keine Abwehrverletzungen entdecken, nicht einmal kleine Schrammen.
»Wie lange ich ohnmächtig war, weiß ich nicht«, berichtet die Frau stockend weiter. »Vielleicht nur einen Moment lang. Aber als ich wieder zu mir gekommen bin, war um mich herum dieser fürchterliche Schwelgeruch.«
Sie starrt auf die Tischplatte. Als sie zu sich kam, überlegt Hellmann, hatte sie doch immer noch die Plastiktüte über dem Kopf. Oder nicht? Kann man unter solchen Umständen überhaupt einen Schwelgeruch wahrnehmen?
»Waren Sie gefesselt?«, fragt er.
Wieder lacht Verena Falk scheinbar grundlos auf. »Nein, das nicht«, sagt sie. »Sonst hätte ich mir ja nicht den Schal vom Hals lösen können, oder? Ich habe an dem Schal herumgezerrt, weil ich diesen Druck am Hals hatte. Als sich der Schal gelockert hatte, habe ich dann auch die Tüte heruntergenommen.«
Sie habe gar nicht gleich bemerkt, dass um sie herum alles brannte, fährt sie fort. Sie sei einfach nach draußen gerannt, und erst als sie sich von der Straße aus zum Laden umwandte, habe sie die Flammen gesehen.
Sie fährt sich mit der Hand über die Augen und lacht erneut auf.
»Wir machen eine Pause«, beschließt Hellmann.
Er geht nach draußen, um für sie beide Kaffee zu besorgen. Und um sich darüber klarzuwerden, warum er bei diesem Fall so ein komisches Gefühl hat.
Aber er kommt zu keinem Ergebnis. Die Erinnerung von Gewaltopfern ist oftmals verzerrt, und ihr Verhalten wirkt auf Außenstehende nicht selten ungewöhnlich. Opfer von extremen Gewaltdelikten können sich häufig nicht richtig konzentrieren und werden von ihren Gefühlen überwältigt. Teile ihrer Erinnerung können verzerrt, andere blockiert sein.
Jetzt brauchen wir erst einmal eine möglichst genaue Beschreibung des Täters, sagt sich Hellmann. Zumindest ein paar Hinweise, damit die Fahndung starten kann. Bevor die Ex-Ministerin Jobst uns den Innenminister oder, noch schlimmer, die gesamte Medienmeute auf den Hals hetzt.
Eine weitere halbe Stunde lang versucht der Kriminaloberkommissar, der Geschädigten eine genauere Täterbeschreibung oder zumindest ein paar Anhaltspunkte zur Identität des Täters zu entlocken. Die Ergebnisse seiner Bemühungen sind jedoch
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