Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Behutsam entfernen sie einen Streifen Isolierband, ziehen die Plane auseinander und öffnen den Reißverschluss am Zelt. Mit einer Taschenlampe leuchten sie in die düstere Behausung hinein. Was sie zu sehen bekommen, übertrifft ihre schlimmsten Befürchtungen.
In dem kleinen Igluzelt liegen drei junge Frauen, alle offenkundig tot. Zwischen ihnen auf dem Boden stehen drei Instantgrills. Die Kohlenbriketts in den Aluschalen sind weitgehend zu Asche verglüht.
Die weiteren Ermittlungen ergeben, dass es sich bei den drei Toten um Daphne Klügler und zwei unwesentlich jüngere Frauen handelt. Eine von ihnen stammt aus einem Dorf ganz in der Nähe des Geschehensortes, die andere ist aus dem Allgäu angereist. Ebenso wie Daphne Klügler haben auch ihre Gefährtinnen Abschiedsbriefe hinterlassen, die im Igluzelt sichergestellt werden.
Die Obduktion wird wenige Tage später von meinen Kollegen in Niedersachsen durchgeführt. Dabei stellt sich heraus, dass die drei jungen Frauen zweifelsfrei an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung gestorben sind. Bei der Auswertung ihrer Computer und Handys schütteln Oberkommissar Achim Herder und seine Kollegen mehr als einmal ungläubig die Köpfe. Offenbar haben sich die drei Mädchen in einem »Selbstmord-Forum« im Internet kennengelernt. Dort geben sich unzählige todessüchtige User detaillierte Ratschläge für den »perfekten Suizid«. Monatelang haben Daphne und ihre Freundinnen die Vor- und Nachteile aller erdenklichen Suizidarten eifrig mitdiskutiert.
»Für Kohlenmonoxid als Tötungsgift sprechen hauptsächlich drei gute Gründe«, doziert ein Forums-»Experte« in makaber sachlichem Tonfall. »1. seine leichte Verfügbarkeit, 2. die ausbleibenden Nebenwirkungen, 3. seine schnelle Wirksamkeit.« Und der »beste Weg, um eine tödliche Kohlenmonoxid-Konzentration zu erzeugen«, so führt er weiter aus, sei »ein Holzkohlegrill, den man in einen gut isolierten Raum stellt. Man zündet den Grill an und wartet außerhalb des Raums, bis die Kohle schön goldgelb glüht. Erst dann begibt man sich in den Raum und macht die Tür hinter sich luftdicht zu.«
Allem Anschein nach, erklärt Oberkommissar Herder den schockierten Eltern, haben Daphne Klügler und ihre Gefährtinnen diese Anweisung hundertprozentig befolgt.
Gruppensuizide sind seit der Jahrtausendwende eine regelrechte Mode unter depressiven jungen Leuten rund um den Erdball. Menschen, die sich vorher nie im Leben gesehen haben, verabreden sich via Internet zum gemeinsamen Sterben.
Ein großer Teil von ihnen greift auf die »Holzkohlengrill«-Methode zurück, die 1998 von einer Managerin aus Hongkong »erfunden« wurde. Die Frau verlor während einer wirtschaftlichen Flaute ihren Job und beschloss, sich das Leben zu nehmen. Sie stöberte in Suizidratgebern, ohne eine ihr genehme Selbsttötungstechnik zu finden. Daraufhin kreierte sie die »Holzkohlengrill«-Methode, die sie in ihrem Abschiedsbrief minutiös beschrieb.
Die Medien stürzten sich auf die Story und hoben immer wieder hervor, wie einfach umzusetzen und schmerzfrei die Methode sei – mit der Folge, dass die Kohlenmonoxid-Vergiftung mittlerweile in asiatischen Ländern nach dem Erhängen die zweithäufigste Suizidmethode darstellt.
In einigen asiatischen Ländern, etwa in Singapur, treibt die Gefahr des Kohlenmonoxid-Suizids mittels Grillkohle zum Teil sonderbare Blüten. So ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass die Kassierer in singapurischen Supermärkten den Verkauf von Grillkohle verweigern, wenn ein Kunde nicht zusätzlich grillbare Lebensmittel erwirbt. Stattdessen erhalten solche Kunden einen Flyer, der sie über Kontaktdaten von Hilfsorganisationen für suizidgefährdete Menschen informiert.
Diese Maßnahme ist sicherlich gut gemeint; dass sie zu einem echten Rückgang der Suizide insgesamt oder zumindest der Holzkohle-Suizide führt, ist meines Wissens nicht belegt. Wer plant, sich mittels Grillkohle das Leben zu nehmen, braucht schließlich nur eine Packung Grillwürstchen dazuzukaufen, um sein Vorhaben zu verschleiern …
Der Kohlenmonoxid-Suizid mittels Grillkohle wird in Rechtsmedizinerkreisen mittlerweile die »asiatische Methode« genannt. Durch das Internet ist die makabre Mode auch nach Europa herübergeschwappt. Mit der Folge, dass seit einigen Jahren auch hierzulande ein bis drei Prozent aller Suizide mittels Holzkohlengrill verübt werden – mit steigender Tendenz. Wie überhaupt die Suizidrate in Deutschland – entgegen einem
Weitere Kostenlose Bücher