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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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sehr geschickt im Umgang mit der Presse.«
    Farrell nickte und ging, um die Tür zu öffnen. Sie gingen hinaus. Sie schien mich nicht anzusehen, als sie hinausgingen, aber irgendwas berührte leicht meinen Nacken.
    Sicher ein Zufall. Ihr Ärmel.
    Endicott sah auf die Tür, die sich schloß. Er sah mich über den Schreibtisch an. »Ist Farrell Ihr Anwalt? Ich habe vergessen zu fragen.«
    »Ich kann ihn nicht bezahlen. Ich bin also verwundbar.«
    Er lächelte dünn. »Denen lasse ich alle Tricks durchgehen und rette dann meine Ehre, indem ich Sie fertigmache, was?«
    »Ich kann Sie nicht abhalten.«
    »Besonders stolz sind Sie wohl nicht auf Ihre Rolle in der Affäre, was, Marlowe?«
    »Ich habe es falsch angefangen. Danach mußte ich es einfach nehmen, wie es kam.«
    »Meinen Sie nicht, daß Sie eine gewisse Verpflichtung vor dem Gesetz haben?«
    »Wenn das Gesetz so wäre wie Sie - sicher.«
    Er fuhr sich mit seinen langen bleichen Fingern durch das schwarze krause Haar.
    »Darauf könnte ich viele Antworten geben«, sagte er. »Sie kämen alle auf dasselbe hinaus. Der Bürger bestimmt, wie das Gesetz ist. Hierzulande haben wir das noch nicht recht verstanden. Im Gesetz sehen wir einen Feind. Wir sind eine Nation von Polizistenhassern.«
    »Um das zu ändern, muß viel passieren«, sagte ich. »Auf beiden Seiten.«
    Er beugte sich vor und drückte auf einen Knopf. »ja«, sagte er ruhig, »Sie haben recht.
    Aber einer muß damit anfangen. Danke, daß Sie gekommen sind.«
    Als ich rausging, trat durch eine andere Tür eine Sekretärin ein; sie trug eine dicke Akte.

33
    Nach dem Rasieren und nach einem zweiten Frühstück fühlte ich mich nicht mehr ganz so wie ein Karton voll Sägespäne, in dem die Katze jungt. Ich stieg rauf zu meinem Büro, schloß die Tür auf und schnüffelte: abgenutzte Luft und Staubgeruch. Ich öffnete ein Fenster und sog den Bratendunst von der benachbarten Cafeteria ein. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und fühlte mit den Fingerspitzen, wie klebrig er war. Ich stopfte eine Pfeife, zündete sie an, lehnte mich zurück und sah mich im Zimmer um.
    Ich sagte: »Guten Morgen, wie geht's?«
    Ich redete bloß mit der Büroeinrichtung, den drei grünen Karteikästen, dem durchgetretenen Stück Teppich, dem Klientenstuhl mir gegenüber, der Deckenlampe mit den drei toten Motten, die seit mindestens sechs Monaten drin lagen. Ich redete mit der Riffelglasscheibe, dem schmutzigen Türrahmen, dem Schreibzubehör auf dem Tisch und dem müden, müden Telefon. Ich redete mit dem Schuppenpanzer eines Alligators, der Marlowe hieß und der ein Privatdetektiv war - in unserer blühenden kleinen Gemeinde. Nicht grade eine Intelligenzbestie, aber billig. Er war billig, als er anfing, und am Ende noch billiger.
    Ich griff unten rein und stellte die Flasche mit dem >Old Forester< auf die Tischplatte.
    Sie war etwa ein Drittel voll. Old Forester. Na, mein junge, von wem hast du den auch noch? la Qualität. Viel zu teuer für dich. Muß von einem Klienten sein. Ich hatte mal einen Klienten.
    Das brachte meine Gedanken auf sie, und vielleicht sind meine Gedanken stärker, als ich weiß. Das Telefon läutete, und die komische, kleine, überdeutliche Stimme klang ganz genau wie damals, als sie mich zum erstenmal angerufen hatte.
    »Ich bin in dieser Telefonzelle«, sagte sie. »Wenn Sie allein sind, komme ich rauf.«
    »Hmhm.«
    »Sie sind sicher böse auf mich«, sagte sie.
    »Ich bin auf niemanden böse. Nur müde.«
    »Sie sind bestimmt böse«, sagte ihre angestrengte kleine Stimme. »Aber ich komme trotzdem. Es ist mir gleich, ob Sie wirklich böse auf mich sind.«
    Ich legte auf. Ich zog den Korken aus der Flasche Old Forester und roch daran. Ich schüttelte mich. Aha, so stand es also. Wenn ich am Whisky nicht riechen konnte, ohne mich zu schütteln, dann stand es schlimm mit mir.
    Ich steckte die Flasche weg und stand auf, um die Verbindungstür aufzuschließen.
    Dann hörte ich sie durch den Flur trippeln. Diese festen kleinen Fußtritte würde ich überall wiedererkennen. Ich öffnete die Tür; sie trat auf mich zu und sah mich verlegen an.
    Es war nichts mehr übrig. Die schräge Brille, die neue Frisur, der schicke kleine Hut, das Parfüm und das Make-up. Der Modeschmuck, das Rouge, das Ganze. Alles weg.
    Sie war wieder so wie am Anfang, am ersten Vormittag. Dasselbe braune Kostüm, dieselbe altmodische Tasche, dieselbe randlose Brille, das gleiche gezierte, kleine, engstirnige Lächeln.
    »Ich

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