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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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bin's«, sagte sie, »ich fahre nach Hause.«
    Sie folgte mir in mein privates Denkzimmer und setzte sich mit steifer Manier, und ich setzte mich eben auch irgendwie hin und betrachtete sie.
    »Zurück nach Manhattan«, sagte ich. »Hoffentlich läßt man Sie da rein.«
    »Vielleicht muß ich nochmal wiederkommen.«
    »Können Sie sich das leisten?«
    Sie lachte ein bißchen verlegen. »Das wird mich gar nichts kosten«, sagte sie. Sie hob die Hand und berührte die randlose Brille. »Fühlt sich jetzt ganz dumm an«, sagte sie.
    »Die andere gefällt mir besser. Aber Dr. Zugsmith würde sie gar nicht gefallen.« Sie legte ihre Tasche auf den Schreibtisch und zog eine Linie mit der Fingerspitze. Auch das war wie beim erstenmal.
    »Ich weiß nicht mehr, ob ich Ihnen die zwanzig Dollar zurückgegeben habe oder nicht«, sagte ich. »Es ist so oft hin und her gegangen, daß ich die Übersicht verloren habe.«
    »Oh, Sie haben sie mir zurückgegeben«, sagte sie. »Vielen Dank.«
    »Bestimmt?«
    »Wenn's um Geld geht, vergesse ich nichts. Und Sie? Geht's Ihnen gut? Haben die Ihnen weh getan?«
    »Die Polizei? Ach wo. Dabei haben die sich so aufgeführt wie noch nie. «
    Sie sah kindlich erstaunt aus. Dann blitzten ihre Augen auf. »Sie müssen sehr tapfer sein«, sagte sie.
    »Hatte nur Glück«, sagte ich. Ich griff nach einem Bleistift und fühlte, wie spitz er war.
    Er hatte eine schöne, scharfe Spitze, falls jemand damit schreiben wollte. Ich wollte nicht. Ich streckte die Hand aus, hakte mit dem Bleistift hinter den Tragegurt der Tasche und zog sie zu mir her.
    »Fassen Sie die Tasche nicht an«, sagte sie schnell und streckte die Hand danach.
    Ich grinste und zog sie aus ihrer Reichweite. »Schon gut. Es ist so eine raffinierte kleine Tasche. Ihnen so ähnlich.«
    Sie lehnte sich zurück. In ihren Augen lag eine schwache Unruhe, aber sie lächelte.
    »Sie finden, ich sei raffiniert, Philip? Ich bin doch so was Gewöhnliches.«
    »Das finde ich nicht.«
    »Nein?«
    »Überhaupt nicht. Ich finde, Sie sind eines der ungewöhnlichsten Mädchen, die ich je gesehen habe.« Ich ließ die Tasche an ihrem Riemen schaukeln und stellte sie an der Ecke des Schreibtisches ab. Ihre Augen folgten ihr, aber sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und lächelte mich wieder an.
    »Sie kennen sicher viele Frauen«, sagte sie. »Warum« - sie senkte die Augen und tat wieder das mit der Fingerspitze - »warum haben Sie nie geheiratet?«
    Ich dachte an die vielen möglichen Antworten. Ich dachte an alle Frauen, die mir gut genug gefallen hatten. Nein, nicht an alle. Aber an einige.
    »Ich könnte wohl darauf antworten«, sagte ich. »Aber es würde sich ziemlich altmodisch anhören. Die, die ich vielleicht heiraten würde - denen habe ich nicht das Richtige zu bieten. Die anderen braucht man nicht zu heiraten. Man kriegt sie herum - wenn sie es nicht zuerst tun.«
    Sie errötete bis zu den Wurzeln ihrer dünnen Haare.
    »Sie sind wirklich widerlich, wenn Sie so reden.«
    »Bei einigen von den netten ist es auch nicht anders«, sagte ich. »Ich meine nicht, was Sie gesagt haben. Ich meine das von mir. Bei Ihnen wäre es auch nicht so schwer gewesen. «
    »Bitte, sprechen Sie nicht so!«
    » Na ja - stimmt es denn nicht? «
    Sie sah abwärts, auf den Tisch. »Ich wünschte, Sie würden mir sagen, was mit Orrin passiert ist«, sagte sie langsam. »Ich bin ganz durcheinander.«
    »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß er wahrscheinlich auf die schiefe Ebene geraten ist.
    Beim erstenmal, als Sie kamen. Wissen Sie noch?«
    Sie nickte langsam, noch immer rot im Gesicht.
    »Hatte einen abnormen häuslichen Hintergrund«, sagte ich. »Sehr gehemmter Typ, mit sehr hoch entwickeltem Sinn für die eigene Wichtigkeit. Man konnte es direkt sehen, auf den Bildern, die Sie mir gegeben haben. Ich will Ihnen jetzt nicht mit Psychologie kommen, aber nach meiner Ansicht war er ein Typ, der wirklich total durchdrehen mußte, wenn er überhaupt durchdrehte. Und dann gibt's da diese schreckliche Geldgier in Ihrer Familie, bei allen - mit einer Ausnahme.«
    Sie lächelte mich an. Wenn sie dachte, ich hätte sie gemeint - mir konnte es egal sein.
    »Eines möchte ich Sie fragen«, sagte ich. »War Ihr Vater vorher schon mal verheiratet?«
    Sie nickte, ja.
    »Na also, Leila hatte eine andere Mutter. Das paßt mir gut. Erzählen Sie mir noch etwas mehr. Ich habe schließlich 'ne Menge für Sie gemacht, für die sehr niedrige Summe von null Dollar netto.«
    »Sie

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