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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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das herauszukriegen. Oder auch nicht.

7
    Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte genau um vier. »Haben Sie Orrin schon gefunden, Mr. Marlowe?«
    »Noch nicht. Wo sind Sie?«
    »Na, in dem Drugstore neben dem Haus ... «
    »Also, dann kommen Sie rauf, und spielen Sie nicht Mata Hari«, sagte ich.
    »Können Sie denn nie mal ein bißchen höflich sein?« sagte sie pikiert.
    Ich legte auf und flößte mir einen Schuß Old Forester ein, um meine Nerven für die Fragerei zu stärken. Als ich noch schlürfte, hörte ich ihre Schritte den Gang entlang trippeln. Ich ging rüber und öffnete die Tür.
    »Kommen Sie hier rein, hier ist nicht so'n Gedränge«, sagte ich. Sie setzte sich steif hin und wartete.
    »Alles, was ich rauskriegte«, sagte ich, »ist, daß in dieser Höhle in der Idaho Street Gras verkauft wird. Also Marihuana-Zigaretten.«
    »Oh, wie gräßlich«, sagte sie.
    »Das Gute geht immer mit dem Schlechten einher in diesem Leben«, sagte ich. »Orrin muß was gemerkt haben und hat wohl gedroht, es der Polizei zu melden.«
    »Glauben Sie«, sagte sie in ihrer Klein-Mädchen-Manier, »daß sie ihm dafür weh tun könnten?«
    »Na ja, wahrscheinlich haben sie ihm erst mal Angst eingejagt.«
    »Oh! Die könnten Orrin nicht erschrecken, Mr. Marlowe«, sagte sie entschieden. »Er wird sehr böse, wenn Leute sich mit ihm anlegen wollen.«
    »Sicher«, sagte ich. »Aber wir reden über verschiedene Sachen. Man kann jedem Angst einjagen - mit der richtigen Methode.«
    Sie machte einen bockigen Mund. »Nein, Mr. Marlowe. Orrin können sie nicht erschrecken.«
    »Na schön«, sagte ich. »Also sie haben ihn nicht erschreckt. Vielleicht haben sie ihm nur ein Bein abgeschnitten und es ihm um die Ohren geschlagen. Was machen Sie denn dann - schreiben Sie an den Verbraucherschutz?«
    »Sie wollen mich hochnehmen«, sagte sie förmlich. Ihre Stimme war so kühl wie Kantinensuppe. »Ist das alles, was Sie den ganzen Tag gemacht haben? Bloß, daß Orrin ausgezogen ist und daß es eine schlechte Gegend war? Das hatte ich schon selbst erfahren, Mr. Marlowe. Ich habe gedacht, wo Sie doch ein Detektiv sind und so ...
    « Sie ließ die Stimme sinken und den halben Satz in der Luft.
    »Ich habe ein bißchen mehr gemacht«, sagte ich. »Ich habe dem Verwalter etwas Gin gegeben und habe im Meldebuch geblättert und habe mit einem Mann namens Hicks geredet. George W. Hicks. Er trägt eine Perücke. Ich glaube, Sie kennen ihn vielleicht nicht. Er hat Orrins Zimmer, oder er hatte es. Und da habe ich gedacht, vielleicht . . .«
    jetzt war ich an der Reihe mit meinem halben Satz in der Luft.
    Sie fixierte mich mit ihren blaßblauen Augen, die von den Brillengläsern vergrößert wurden. Ihr Mund war klein und fest und zusammengepreßt, ihre Hände auf dem Schreibtisch vor ihrer großen Handtasche ineinandergeklammert, der ganze Körper steif und starr und förmlich und ablehnend.
    »Ich habe Ihnen zwanzig Dollar bezahlt, Mr. Marlowe«, sagte sie kalt. »Ich war der Meinung, daß damit eine Tagesarbeit bezahlt werden sollte. Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie eine Tagesarbeit geleistet haben.«
    »Nein«, sagte ich. »Das ist richtig. Aber der Tag ist noch nicht vorbei. Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der zwanzig Lappen. Die können Sie zurück haben. Ich hab sie nicht mal angekratzt.«
    Ich machte die Schreibtischschublade auf und holte ihr Geld heraus. Ich schob es über den Schreibtisch. Sie schaute es an, aber sie berührte es nicht. Ihr Blick hob sich langsam und traf auf den meinen.
    »So habe ich es nicht gemeint. Ich weiß, Sie machen es so gut Sie können, Mr.
    Marlowe.«
    »Bei dem bißchen, was Sie mir erzählt haben.«
    »Aber ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß!«
    »Glaub ich nicht.«
    »Wenn Sie das nicht glauben, kann ich sicher nichts dagegen machen«, sagte sie spitz.
    »Schließlich, wenn ich schon alles wüßte, was ich wissen wollte, würde ich nicht herkommen und Sie bitten, es rauszukriegen, oder?«
    »Ich sage nicht, daß Sie alles wissen, was Sie wissen wollen«, antwortete ich. »Die Sache ist die, daß ich nicht alles weiß, was ich wissen will, um Ihren Auftrag zu erledigen. Und was Sie mir erzählen, paßt nicht zusammen.«
    »Was paßt nicht zusammen? Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt. Ich bin Orrins Schwester. Ich glaube, ich weiß, was für ein Mensch er ist.«
    »Wie lange hat er für Cal-Western gearbeitet?«
    »Das habe ich Ihnen erzählt. Er ist ungefähr vor einem Jahr nach

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