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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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gesehen. Meinen Sie, ich stelle mich hier vor die Theke und knipse Bilder von ihnen, während sie sich einschreiben?«
    »Danke«, sagte ich. »Dr. G. W. Hambleton, EI Centro. Verbindlichen Dank.« Ich gab ihm die Meldekarte zurück.
    »Wenn irgend etwas ist, was mich betrifft«, sagte Flack, während ich rausging, »Sie wissen ja, wo ich bin. Oder sagen wir: wo ich begraben bin. «
    Ich nickte und ging raus. Es gibt solche Tage. Jeder, den man trifft, hat eine Macke.
    Allmählich fängt man an, sich im Spiegel zu betrachten und zu grübeln.

9
    Zimmer 332 war auf der Rückseite des Gebäudes in der Nähe der Tür zum Feuerausgang. Der Korridor dorthin roch nach altem Teppic4 und Möbelwachs und nach der grauen Namenlosigkeit von tausend trübseligen Existenzen. Der Sandeimer unter dem aufgewickelten Feuerwehrschlauch war voller Zigarettenkippen und Zigarrenstumpen - der Ausbeute von vielen Tagen. Blechmusik von einem Radio dröhnte durch ein offenes Oberlicht. Durch ein anderes Oberlicht war zu entnehmen, daß dort Leute unter einem lebensgefährlichen Lachanfall litten. Am Gangende vor Zimmer 332 war es stiller.
    Ich klopfte zweimal lang und zweimal kurz nach der Anweisung. Es passierte nichts. Ich fühlte mich ausgelaugt und alt. Ich fühlte mich, als hätte ich mein Leben lang nie was anderes gemacht, als in billigen Hotels an Türen geklopft, und niemand hätte daran gedacht zu öffnen. Ich versuchte es noch mal. Dann drehte ich den Türknopf und ging rein. Ein Schlüssel mit einem roten Plastikanhänger hing gerade noch von innen im Schlüsselloch.
    Es gab einen kurzen Flur und rechts ein Bad. Durch den Flur sah man die obere Hälfte eines Bettes, und auf ihm lag ein Mann in Hemd und Hose.
    Ich sagte: »Dr. Hambleton?«
    Der Mann gab keine Antwort. Ich ging an der Tür zum Bad vorbei auf ihn zu. Ich bemerkte einen Hauch von Parfüm und wollte mich umdrehen - aber nicht schnell genug. Eine Frau, die in dem Bad gewesen war, stand da und hielt ein Handtuch über die untere Gesichtshälfte. Über dem Handtuch waren dunkle Gläser. Und dann die Krempe eines breitkrempigen Strohhuts, in einem staubigen Graublau. Darunter quoll blaßblondes Haar. Blaue Schmuckknöpfe an den Ohren glänzten weiter hinten im Schatten. Die Sonnenbrille hatte ein weißes Gestell mit flachen breiten Seitenbügeln.
    Das Kleid paßte zum Hut. Ein gestickter Seiden- oder Kunstseidenmantel hing offen über dem Kleid. Sie trug Fechthandschuhe, und in ihrer rechten Hand war ein Revolver.
    Weißer Elfenbeingriff. Vielleicht eine -32er.
    »Drehen Sie sich um und legen Sie die Hände auf den Rücken«, sagte sie durch das Handtuch. Mit der Stimme, die durch das Handtuch undeutlich klang, konnte ich ebenso wenig anfangen wie mit der dunklen Brille. Es war nicht die Stimme, mit der ich am Telefon gesprochen hatte. Ich bewegte mich nicht.
    »Glauben Sie bloß nicht, ich mach Spaß«, sagte sie. »Ich gebe Ihnen genau drei Sekunden.«
    »Könnten wir nicht sagen: eine Minute? Ich sehe Sie so gern an.«
    Sie machte eine drohende Bewegung mit der kleinen Pistole. »Drehen Sie sich um«, fauchte sie, »aber schnell.«
    »Mir gefällt auch Ihre Stimme.«
    »Also gut, wenn Sie es haben wollen, dann wollen Sie es eben so haben.« Sie hatte einen verbissenen, gefährlichen Ton.
    »Vergessen Sie nicht, daß Sie eine Dame sind«, sagte ich, drehte mich um und hob meine Hände bis zu den Schultern hoch. Die Mündung einer Schußwaffe bohrte sich hinten in meinen Hals. Meine Haut wurde vom Atem fast gekitzelt. Das Parfüm war irgendwas Elegantes, nicht stark, nicht durchdringend. Der Revolver an meinem Hals verschwand, und einen Moment lang war blendendes Feuer in meinem Kopf. Ich stöhnte, fiel vornüber auf meine Hände und Knie und griff schnell nach hinten. Meine Hand berührte ein Bein in einem Nylonstrumpf - aber sie rutschte ab, was schade war.
    Das Bein fühlte sich hübsch an. Die Wucht eines weiteren Schlags auf den Kopf beendete dieses Vergnügen, und ich gab den heiseren Ton eines Mannes von mir, der schlimm dran ist. Ich fiel zu Boden. Die Tür öffnete sich. Ein Schlüssel klapperte. Die Tür schloß sich. Der Schlüssel drehte sich. Stille.
    Ich rappelte mich auf und ging ins Bad. Ich nahm ein Handtuch von der Stange, machte es naß und wässerte meinen Kopf damit. Er fühlte sich an, als ob ein Schuhabsatz ihn getroffen hätte. jedenfalls war es sicher kein Pistolengriff. Es war ein bißchen Blut dran -
    nicht viel. Ich spülte das Handtuch aus,

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