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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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ein Mann, der wirklich seine Perücke pflegte), drei flache Päckchen mit weißem Pulver, sieben gedruckte Karten mit der Aufschrift >Dr. G. W. Hambleton, 0. D. Tustin Bullding, EI Centro, California, Hours 9-12 and 2-4 and by Appointment. Telephone EI Centro 504o6<. Es gab keinen Führerschein, keine Sozialversicherungs- oder sonstige Versicherungskarte, eigentlich kein Ausweispapier. 164 Dollar in Banknoten waren in der Brieftasche. Ich steckte die Brieftasche wieder dorthin, wo ich sie gefunden hatte.
    Ich nahm Dr. Hambletons Hut vom Schreibtisch hoch und untersuchte das Schweißband und das Hutband. Der Fachbogen des Hutbands war mit einem spitzen Messer aufgetrennt worden, lose Fäden hingen runter. Im Fachbogen war nichts versteckt. Keine Spur von früherem Auftrennen und Zunähen.
    So sah es aus. Wenn die Killer wußten, was sie suchten, dann war es etwas, das in einem Buch versteckt werden konnte, in einem Klingelkasten, einer Zahnpastatube oder in einem Hutband. Ich ging noch mal ins Bad und betrachtete noch mal meinen Kopf.
    Noch immer quoll ein klein bißchen Blut raus. Ich spülte es noch mal mit kaltem Wasser und trocknete die Wunde mit Toilettenpapier, das ich im Klosett wegspülte. Ich ging zurück und stand einen Augenblick vor Dr. Hambleton, sah auf ihn hinab und fragte mich, was er falsch gemacht hatte. Er hatte den Eindruck eines ziemlich schlauen Kopfes gemacht. Das Sonnenlicht war inzwischen in die hintere Ecke des Zimmers gewandert, vom Bett fort und runter in eine trübselige Schmutzecke.
    Plötzlich grinste ich, bückte mich schnell, und noch immer mit dem Grinsen auf meinem Gesicht, so unangebracht es war, nahm ich Dr. Hambletons Perücke ab und stülpte sie um. Ganz einfach alles. Am Saum der Perücke war mit Klebeband ein Stück orangefarbenes Papier befestigt, darüber ein Stück Cellophan. Ich zog es ab, drehte es um und sah, daß es ein numerierter Abholschein aus dem Fotogeschäft von Bay City war. Ich steckte ihn in meine Brieftasche und setzte die Perücke vorsichtig wieder auf den toten kahlen Eierkopf.
    Ich ließ das Zimmer unabgeschlossen, denn ich hatte nichts zum Abschließen.
    Vorne im Korridor röhrte das Radio noch immer durch das Oberlicht, und das übertriebene betrunkene Lachen begleitete es von gegenüber.

10
    Der Mann vom Fotoladen in Bay City sagte am Telefon: »ja, Mr. Hicks, wir haben sie fertig. Sechs Vergrößerungen, Hochglanz, von Ihrem Negativ.«
    »Wann machen Sie zu?« fragte ich.
    »Oh, ungefähr in fünf Minuten. Wir machen um neun Uhr morgens auf.«
    »Ich hole sie morgen früh ab. Vielen Dank.«
    Ich legte auf, griff mechanisch in das Rückgabeloch und fand einen Fünfer von jemandem. Ich ging zur Essenstheke und kaufte mir dafür eine Tasse Kaffee; dort saß ich und schlürfte und hörte den Autohupen zu, die sich draußen auf der Straße beklagten. Alte Bremsbeläge kreischten. Ein dumpfes Gemurmel von Füßen ununterbrochen auf dem Trottoir. Es war kurz nach fünf Uhr dreißig. Ich trank meinen Kaffee aus, stopfte eine Pfeife, ging langsam einen halben Block zurück in das Van Nuys Hotel. Im Schreibzimmer steckte ich den orangefarbenen Fotoladenabschnitt in einen zusammengefalteten Bogen Hotel-Schreibpapier und adressierte einen Umschlag an mich selbst. Ich klebte eine Expreß-Marke drauf und warf ihn in den großen Postbehälter neben den Liftschächten. Dann ging ich nochmals vor zu Flacks Büro.
    Wie zuvor schloß ich die Tür und setzte mich ihm gegenüber. Anscheinend hatte Flack sich keinen Zentimeter bewegt. Er kaute mißmutig auf demselben Zigarrenstumpen, und seine Augen waren immer noch voll der Leere. Ich zündete mir noch mal meine Pfeife an, mit einem Streichholz, das ich an der Kante seines Schreibtisches anriß. Ich runzelte die Stirn.
    »Dr. Hambleton macht nicht auf«, sagte ich.
    »Was?« Flack sah mich abwesend an.
    »Der Gast von 332. Wissen Sie noch? Er macht nicht auf.«
    »Und? Was soll ich machen? Aus dem Korsett platzen?«
    »Ich habe mehrmals geklopft«, sagte ich. »Keine Antwort. Dachte, vielleicht nimmt er ein Bad oder was, obwohl man nichts hörte. Ging eine Weile fort und probierte es dann noch mal. Genau dasselbe, keiner rührt sich. «
    Flack sah auf eine Zwiebeluhr, die er aus seiner Westentasche geholt hatte. »Um sieben zische ich ab«, sagte er. »Mann Gottes. Eine Stunde Weg, wenn's reicht. Mann, bin ich hungrig.«
    »So wie Sie arbeiten, kein Wunder«, sagte ich. »Sie müssen bei Kräften bleiben.
    Konnte ich

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