Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
auf mich gerichtet.
    »Vorsicht, Alfred«, sagte der dicke Mann und hielt meine Hand mit einem Griff, mit dem er einen Stahlträger geknickt hätte. »Noch nicht.«
    »In der Bude von 'nein Bullen«, sagte Alfred. Der Revolver zielte auf meine Brust. Sein Finger legte sich auf den Drücker. Ich beobachtete den Finger. Ich wußte genau, bei welcher Stellung des Fingers sich der Bolzen lösen würde. Es war schon fast egal. Es passierte irgendwo anders in einem miesen Film. Es passierte nicht mit mir.
    Der Bolzen des Revolvers klackte ins Leere. Alfred senkte die Waffe mit verärgertem Knurren, und sie verschwand da, wo sie hergekommen war. jetzt fing er wieder an zu zucken. An seinen Hantierungen mit dem Revolver war keinerlei Nervosität gewesen.
    Ich hätte gern gewußt, was das für eine Droge war, von der er entwöhnt war.
    Der dicke Mann ließ meine Hand los, das joviale Lächeln bedeckte noch immer das ganze, große, gesunde Gesicht.
    Er klopfte auf eine Tasche. »Ich habe das Magazin«, sagte er. »Alfred spurt nicht mehr richtig neuerdings. Das kleine Miststück hätte Sie vielleicht erschossen.«
    Alfred setzte sich in einen Sessel, kippte ihn gegen die Wand und schnaufte durch den Mund.
    Ich ließ meine Absätze wieder zu Boden.
    »Er hat Sie sicher erschreckt«, sagte Joseph P. Quaddel.
    Ich schmeckte das Salz auf meiner Zunge.
    »So ein harter Bursche sind Sie nicht«, sagte Quaddel und stupste mir mit einem dicken Finger in den Magen.
    Ich trat von dem Finger zurück und betrachtete seine Augen.
    »Was kostet es?« fragte er, beinahe gütig.
    »Wir wollen in meinen Salon gehen«, sagte ich.
    Ich drehte ihm den Rücken zu und machte mich auf den Weg durch die Tür zum anderen Büro. Es war Schwerarbeit, aber ich schaffte es. Ich schwitzte durch und durch. Ich ging um den Schreibtisch herum und stellte mich dahinter und wartete. Mr.
    Quaddel folgte mir gemütlich. Der Süchtige kam hinter ihm und zuckte.
    »Sie haben nicht zufällig einen Comic hier, oder?« fragte Quaddel. »Er bleibt dann artig.«
    »Setzen Sie sich«, sagte ich. »Ich schaue mal nach.«
    Er griff nach der Sessellehne, ich riß eine Schublade auf und legte meine Hand um den Griff einer Luger. Ich ließ sie langsam hochkommen und sah Alfred an. Alfred hatte nicht mal einen Blick für mich übrig. Er studierte eine Ecke in der Decke und paßte auf, daß ihm der Mund nicht ins Auge schwamm.
    »Das ist alles, was ich habe an Comics«, sagte ich,
    »Das werden Sie nicht brauchen«, sagte der dicke Mann jovial.
    »Um so besser«, sagte ich, wie jemand anders, der aus der Ferne sprach, hinter der Mauer. Ich konnte die Worte gerade noch hören. »Aber falls doch - bitte sehr. Und die ist geladen. Soll ich's Ihnen beweisen?«
    Der dicke Mann sah so beunruhigt aus, wie er nur konnte. »Tut mir leid, daß Sie es so auffassen«, sagte er. »Ich bin so an Alfred gewöhnt, daß ich ihn kaum mehr bemerke.
    Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht muß ich wirklich mal was mit ihm machen.«
    »Ganz recht«, sagte ich. »Machen Sie es heute nachmittag, bevor Sie hier hergekommen sind. jetzt ist es zu spät.«
    »Nicht so schnell, Mr. Marlowe.« Er schob seine Hand vor. Ich schlug mit der Luger drauf. Er war schnell, aber nicht schnell genug. Ich machte mit dem Visier des Revolvers einen Riß in seinen Handrücken. Er packte die Hand und lutschte an dem Riß. »Also bitte! Alfred ist mein Neffe. Kind von meiner Schwester. Ich passe ein bißchen auf ihn auf. Er würde keiner Fliege weh tun, bestimmt!«
    »Das nächste Mal, wenn Sie herkommen, schenke ich ihm eine Fliege, zum Nicht-Wehtun«, sagte ich.
    »Nun seien Sie mal nicht so, Mann. Bitte, seien Sie nicht so. Ich habe ein hübsches kleines Angebot ... «
    »Halt's Maul«, sagte ich. Ich setzte mich langsam hin. Mein Gesicht brannte. Es fiel mir schwer, überhaupt deutlich zu sprechen. Ich fühlte mich ein bißchen besoffen. Ich sagte langsam und schwer: »Ein Freund von mir hat mir mal von einem Burschen erzählt, mit dem man so eine Tour versucht hat. Er saß am Schreibtisch, wie ich jetzt. Er hatte eine Kanone, genau wie ich jetzt. Auf der anderen Seite vom Schreibtisch waren zwei Männer, wie Sie und Alfred. Der Mann auf meiner Seite wurde allmählich sehr sauer. Er konnte nichts dagegen machen. Er fing an zu zittern. Er konnte kein Wort reden. Er hatte bloß immer diese Kanone in der Hand. Und so schoß er, wortlos, zweimal unten durch den Schreibtisch, genau, wo Ihr Bauch ist.«
    Der dicke Mann

Weitere Kostenlose Bücher