Die kleine Schwester
Einfaltspinsel für die Gauner, die sich diese Restaurants zusammengekauft haben. Da haben wir's wieder. Du bist heute abend nicht menschlich, Marlowe.
Ich zahlte und machte einen Abstecher in eine Bar, um noch einen Brandy auf dieses New Yorker Kotelett zu gießen. Aber wieso New York, dachte ich. Solche gußeiserne Sachen machen sie in Detroit. Ich trat hinaus in die Nachtluft - wie man die verpachten kann, hatte bisher noch keiner herausgefunden. Aber wahrscheinlich versuchten es schon viele. Eines Tages würden sie es schaffen.
Ich fuhr weiter bis zu der Abkürzung bei Oxnard und fuhr am Meer entlang heimwärts.
Die großen Vierachser und Achtachser zogen alle nordwärts, über und über behangen mit orangeroten Lampen. Rechts von mir schleppte sich der große breite Pazifik ans Ufer wie eine Putzfrau, die heimkehrt. Kein Mondschein, kein Getue, kaum ein Geräusch am Strand. Kein Geruch. Nichts von dem heftigen, wilden Geruch des Meeres. Es war ein kalifornisches Meer. Kalifornien, der Warenhaus-Staat. Das meiste von a ein und das Beste von nichts. Da sind wir wieder. Du bist nicht menschlich heute abend, Marlowe.
Na gut, warum sollte ich auch? Da sitze ich in diesem Büro, spiele herum mit einer toten Fliege, und herein platzt dieser armselige kleine Gegenstand aus Manhattan, Kansas, und klopft mich klein zu einem mickerigen Zwanziger, der ihren Bruder finden soll. Der muß eine trübe Tasse sein, aber sie will ihn unbedingt finden. Nun mache ich mich also, meinen Schatz an die Brust drückend, auf nach Bay City, und was mir da begegnet, ist eine derart müde Routine, daß ich fast im Stehen einschlafe. Ich lerne nette Menschen kennen, mit oder ohne Stich im Hals. Ich gehe fort und bin ganz ohne Deckung. Dann kommt sie an, nimmt mir die Zwanzig weg, gibt mir einen Kuß und gibt mir die Zwanzig wieder, weil ich nicht einen ganzen Tag lang gearbeitet habe.
Also besuche ich Dr. Hambleton, einen pensionierten (und wie!) Augenarzt aus EI Centro, und stoße schon wieder auf diesen neumodischen Halsschmuck. Und den Bullen sage ich nichts. Ich nehme bloß das Toupet aus, von dem Typ, und spiele ihnen was vor. Warum? Für wen laß ich mir diesmal den Hals abschneiden? Für eine Blondine mit rasanten Augen und zu vielen Schlüsseln? Für eine Maid aus Manhattan, Kansas? Ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, daß etwas anders ist als es aussieht, und mein alter, müder, aber immer zuverlässiger Riecher sagt mir: wenn das Spiel so gespielt wird, wie die Karten verteilt sind, dann wird die falsche Person den Einsatz verlieren. Ist das mein Bier? ja, was ist eigentlich mein Bier? Weiß ich das? Habe ich das irgendwann gewußt? Lassen wir das. Du bist nicht menschlich heute abend, Marlowe. Vielleicht war ich es nie und werde es nie sein. Vielleicht bin ich ein Gespenst mit der Lizenz eines Privatdetektivs. Vielleicht werden wir alle so in der kalten, halbdunklen Welt, wo immer das Falsche passiert und nie das Richtige.
Malibu. Noch mehr Filmstars. Noch mehr blaue und rosa Badewannen. Noch mehr Betten mit Quasten. Noch mehr Chanel Nr. 5. Noch mehr Lincolns Continental und noch mehr Cadillacs. Noch mehr sturmzerzaustes Haar und Sonnenbrillen und Getue und affektierte Stimmen und Strandhaus-Moral. jetzt halt man an. Gibt doch ganz nette Leute, die beim Film arbeiten. Du hast die falsche Einstellung, Marlowe. Du bist heute abend nicht menschlich.
Ich roch Los Angeles, bevor ich da war. Es roch abgestanden und wie ein altes Wohnzimmer, das lange abgeschlossen war. Aber die farbigen Lichter täuschten einen.
Die Lichter waren wunderbar. Es müßte ein Denkmal für den Mann geben, der die Neonlichter erfunden hat. Fünfzehn Stock hoch, massiv Marmor. Das war doch mal ein Kerl, der etwas aus nichts machte.
Und dann ging ich in einen Film, in dem Mavis Weld mitspielte. Eine dieser Glas-und-Chrom-Affären, wo alle zuviel lächelten und zuviel redeten und es genau wußten. Die Damen stiegen ständig eine weitgeschwungene Treppe hinauf, um ihre Kleider zu wechseln. Die Herren nahmen ständig Zigaretten mit Monogramm aus teuren Etuis und knipsten sie sich gegenseitig mit teuren Feuerzeugen an. Und die Serviererin hatte krumme Schultern, weil sie andauernd Tabletts mit Drinks über die Terrasse an den Swimming-pool schleppen mußte, und der Swimming-pool war so groß wie der Huronsee, aber erheblich sauberer.
Der erste Held war ein liebenswürdiger Mann mit viel Charme, wenn auch zum Teil etwas gelblich an den Rändern. Der Star
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