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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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sagte French. »Schon gut. Bitte kein Drama jetzt. Also, nehmen wir mal an, der junge hatte wirklich einen Eisdorn in der Hand: das beweist nicht, daß er damit geboren wurde.«
    »Er war zugefeilt«, sagte ich. »Ganz kurz. Vom Griff bis zur Spitze vielleicht sieben Zentimeter. Geliefert werden sie nicht so.«
    »Wieso wollte er Sie denn stechen?« fragte Beifus mit spöttischem Grinsen. »Sie waren auf seiner Seite. Sie waren im Auftrag seiner Schwester gekommen, um ihn zu retten.«
    »Ich war einfach irgendwas, das ihm das Licht wegnahm«, sagte ich »Etwas, das sich bewegte, das vielleicht ein Mensch war und vielleicht der Mann, der ihn verwundet hatte. Er stand da und starb. Ich hatte ihn vorher nie gesehen. Wenn er mich je gesehen hat, dann ohne mein Wissen.«
    »Es wäre so eine nette Freundschaft gewesen«, sagte Beifus seufzend. »Abgesehen von dem Eisdorn, natürlich.«
    »Die bloße Tatsache, daß er das in der Hand hielt und mich damit stechen wollte, kann auch was bedeuten.«
    »Was, zum Beispiel?«
    »Ein Mensch in seinem Zustand handelt instinktiv. Er erfindet keine neue Technik. Er erwischte mich zwischen den Schulterblättern, ein kleiner Stich, die letzte schwache Anstrengung eines Sterbenden. Es wäre vielleicht an einer anderen Stelle, und ein viel tieferes Loch gewesen, wenn er gesund gewesen wäre.«
    Maglashan sagte: »Wie lange müssen wir eigentlich noch mit diesem Affen herumalbern? Ihr redet mit ihm, als ob er ein Mensch wäre. Lassen Sie mich mal mit ihm reden - auf meine Art.«
    »Der Chef mag das nicht«, sagte French lässig.
    »Zum Teufel mit dem Chef .«
    »Der Chef mag keine Kleinstadtpolypen, die sagen >Zum Teufel mit ihm<«, sagte French.
    Maglashan preßte seine Zähne fest zusammen, der Umriß seines Unterkiefers sah weiß aus. Seine Augen wurden schmäler und glitzerten. Er tat einen tiefen Atemzug durch die Nase.
    »Besten Dank für die Zusammenarbeit«, sagte er und stand auf. »Ich gehe.« Er kam um die Ecke des Tisches herum und hielt neben mir an. Er streckte seine linke Hand aus und hob wieder mein Kinn hoch.
    »Wir sehen uns wieder, Liebling. Bei mir zu Hause.«
    Zweimal wischte er mir übers Gesicht mit dem offenen Ende seines Handschuhs. Die Knöpfe schmerzten stark. Ich hob meine Hand hoch und rieb mir die Unterlippe.
    French sagte: »Zum Donnerwetter, Maglashan, setzen Sie sich hin und lassen Sie den Mann seinen Part reden. Und lassen Sie die Finger von ihm.«
    Maglashan sah sich nach ihm um und sagte: »Glauben Sie, Sie können mir dumm kommen?«
    French zuckte nur die Achseln. Nach einer Weile fuhr sich Maglashan mit seiner großen Hand über den Mund und schlurfte zu seinem Sessel zurück.
    French sagte: »Erzählen Sie uns mal, was Sie von der ganzen Sache halten, Marlowe.«
    »Unter anderem hat Clausen wahrscheinlich mit Hasch-Zigaretten gehandelt«, sagte ich. »In seiner Wohnung roch es nach Marihuana. Als ich ankam, war ein scharfer, kleiner Kerl grade am Geldzählen in der Küche. Er hatte eine Kanone und eine scharfe, dünne Feile, und beides versuchte er an mir auszuprobieren. Ich nahm ihm das weg, und er verschwand. Er war wohl der Verbindungsmann. Aber Clausen war derartig vollgesoffen, daß man sich auf ihn nicht mehr verlassen konnte. Im Syndikat mögen sie so was nicht. Das Männlein dachte, ich sei ein Polyp in Zivil. Diese Leute konnten nicht zulassen, daß Clausen gefaßt wurde. Man hätte ihn zu leicht aushorchen können.
    Sobald die einen Polypen im Haus rochen, mußte Clausen weggeräumt werden.«
    French sah Maglashan an. »Was sagen Sie dazu?«
    »Möglich ist es«, sagte Maglashan widerwillig.
    French sagte: »Nehmen wir an, es war so - was hat das alles mit Orrin Quest zu tun?«
    »Einen Joint kann jeder rauchen«, sagte ich. »Wenn man sich langweilt oder einsam ist oder deprimiert oder arbeitslos, ist es vielleicht sehr verlockend. Aber wenn man ihn raucht, wird man verdreht und gleichgültig. Verschiedene Menschen reagieren verschieden auf Marihuana. Manche werden bösartig davon, andere bloß was-geht's-dich-an,. Vielleicht hat Orrin Quest jemandem eingeheizt und mit der Polizei gedroht. Es könnte gut sein, daß die drei Morde mit der Hasch-Bande zu tun haben.«
    »Das paßt nicht gut zu dem zurechtgefeilten Eisdorn von Quest«, sagte Beifus.
    Ich sagte: »Nach dem, was unser Leutnant hier sagt, hatte er keinen. Ich muß mir das wohl eingebildet haben. Außerdem - vielleicht hat er ihn bloß aufgesammelt. Vielleicht gehören sie zur

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