Die kleine Schwester
ist.«
Sie begann, auf dem Sitz zu mir her zu rutschen.
»Bleiben Sie auf Ihrer Seite«, sagte ich. »Ich habe genug mit dem Fahren zu tun.«
»Darf ich nicht meinen Kopf an Ihre Schulter legen?«
»Bei diesem Verkehr nicht.«
An der Fairfax hielt ich vor einer grünen Ampel, um jemanden links abbiegen zu lassen.
Hinter mir wurde wild gehupt. Als ich weiterfuhr, fuhr der Wagen, der hinter mir gewesen war, neben mich, und ein fetter Kerl im Unterhemd schrie herüber: »Kauf dir lieber 'ne Hängematte!«
Und weiter preschte er, und schnitt derart meine Fahr bahn, daß ich bremsen mußte.
»Früher mochte ich diese Stadt«, sagte ich, um nur irgendwas zu sagen und nicht so sehr denken zu müssen. »Lange her. Am Wilshire Boulevard waren Bäume. Beverly Hills war eine ländliche Kleinstadt. Westwood war leere Berge, Grundstücke wurden für elfhundert Dollar angeboten - und keine Interessenten. Hollywood war ein paar Holzhäuser auf der Straße zwischen den beiden Städten. Los Angeles war nur ein großer, ausgedörrter, sonniger Ort mit häßlichen, stillosen Häusern, aber gutmütig und friedlich. Es hatte genau das Klima, dem sie heute nachjagen. Die Leute schliefen draußen auf der Veranda. Die kleinen Klüngel, die sich für Intellektuelle hielten, nannten es das Athen Amerikas. Das war es nicht, aber es war auch nicht dieser Slum mit Neonbeleuchtung.«
Wir überkreuzten die La Cienega und weiter, wo der Strip eine Kurve macht. >The Dancers< war prächtig erleuchtet. Die Terrasse war proppevoll. Der Parkplatz sah aus wie Ameisen auf einer überreifen Frucht.
»Jetzt haben wir Typen wie diesen Steelgrave als Restaurant-Besitzer. Wir haben Kerle wie diesen Dicken, der mich da vorhin angeödet hat. Und wir haben das große Geld, die Scharfschützen, die Provisionstypen, die Schnellverdiener, die Ganoven aus New York, Chicago und - Cleveland. Dann haben wir die Glitzer-Restaurants und Nachtklubs, die sie managen, die Hotels und die Apartmenthäuser, die sie besitzen, die Gauner und Knasttypen, und die weiblichen Banditen, die drin wohnen. Die Luxushändler, die Chi-Chi-Innenarchitekten, die lesbischen Modellschneiderinnen, das ganze hartgesottene Großstadtgesindel mit weniger Charakter als ein Pappbecher.
Draußen in den schicken Vororten liest der gute alte Papa seine Sportnachrichten vor seinem Panoramafenster, hat die Schuhe ausgezogen, hält sich für Oberklasse, weil er eine Garage für drei Wagen hat. Mama sitzt an ihrem Edelkitsch-Frisiertisch und versucht die Säcke unter den Augen wegzumalen. Und der Junge hängt pausenlos am Telefon und telefoniert mit einem Schulmädchen nach dem anderen, die alle Pidgin-Englisch reden und Condome in den Handtaschen haben.«
»So ist es in allen Großstädten, Amigo.«
»Richtige Städte haben noch was anderes, ein paar Rippen unter dem wabbeligen Fleisch. Los Angeles hat Hollywood - und kann es nicht ausstehen. Dabei sollten sie noch froh sein. Ohne Hollywood wäre Los Angeles nur ein großes Versandhaus. Alles aus dem Katalog, was man woanders viel besser bekommt.«
»Sie sind heute abend verbittert, Amigo.«
»Ich sitze ein bißchen in der Klemme. Der einzige Grund, daß ich in diesem Auto neben Ihnen sitze ist, daß ich so viel Arger habe, daß ein bißchen mehr davon bloß noch der Zuckerguß ist.«
»Haben Sie denn was verbrochen?« fragte sie und näherte sich mir auf dem Sitz.
»Na ja, ich habe ein paar Leichen eingesammelt«, sagte ich. »Man kann es so und so betrachten. Die Polypen mögen es nicht, wenn die Arbeit von uns Amateuren gemacht wird. Sie haben ihre eigene Firma.«
»Was werden sie denn mit Ihnen machen?«
»Vielleicht jagen sie mich aus der Stadt - es ist mir schon egal. Drängeln Sie nicht so.
Ich brauche den Arm zum Schalten.«
Sie zog sich beleidigt zurück. »Ich finde, mit Ihnen umzugehen ist richtig scheußlich«, sagte sie. »An der Lost Canyon Road fahren Sie rechts.«
Etwas später fuhren wir an der Universität vorbei. In der Stadt waren jetzt alle Lichter an, ein Lichtermeer erstreckte sich bergabwärts nach Süden und fast unendlich weiter.
Über unseren Köpfen dröhnte ein Flugzeug, verlor an Höhe, seine beiden Signallichter blinkten abwechselnd. An der Lost Canyon kurvte ich nach rechts, vorbei an den großen Einfahrten, die nach Bel-Air führten. Die Straße ging nun im Zickzack und stieg an. Es gab zu viele Wagen; die Scheinwerfer funkelten böse über die geschwungenen weißen Betonauffahrten herunter. Eine
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