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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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kleine Brise wehte vom Paß herunter. Man roch den Duft von wildem Salbei, die durchdringende Würze des Eukalyptus, den stillen Staubgeruch. Fenster leuchteten vom Berghang. Wir kamen an einer großen weißen Monterey-Villa vorbei, sie hatte sicher an die 70 000 Dollar gekostet; vorne dran war ein Leuchtschild >Cairn Terrier<.
    »Die nächste rechts«, sagte Dolores.
    Ich bog ein. Die Straße wurde enger und steiler. Hinter den Mauern oder hinter dichtem Gebüsch waren Häuser, aber man konnte nichts sehen. Dann teilte sich die Straße, und ein Polizeiwagen mit rotem Scheinwerfer parkte davor; in der rechten Abzweigung standen zwei Wagen im rechten Winkel. Eine Taschenlampe winkte auf und ab. Ich fuhr langsamer und hielt direkt neben dem Polizeiwagen an. Innen saßen zwei Bullen und rauchten. Sie rührten sich nicht.
    »Was is' los?«
    »Amigo, ich habe keine Ahnung.« Ihre Stimme hatte einen gedämpften, vorsichtigen Klang. Vielleicht hatte sie ein bißchen Angst. Ich wußte nicht wovor.
    Ein großer Mann, der mit der Lampe, trat von der Seite an den Wagen, leuchtete mich an und senkte die Lampe wieder.
    » Die Straße wird heute abend nicht benutzt«, sagte er. »Wollen Sie jemanden bestimmten besuchen?«
    Ich zog die Handbremse und griff nach einer Lampe, die Dolores aus dem Handschuhfach holte. Ich knipste sie an und richtete sie auf den großen Mann. Er trug teuer aussehende Hosen, ein Sporthemd mit Anfangsbuchstaben auf der Brusttasche und einen gepunkteten Shawl um den Hals. Er hatte eine Hornbrille und schwarzglänzendes, welliges Haar. Er sah so richtig nach Hollywood aus.
    Ich sagte: »Gibt's irgendeinen Grund - oder spielen Sie einfach Polizei?«
    »Die Polizei ist da drüben, wenn Sie mit ihr reden wollen.« In seiner Stimme lag ein verächtlicher Ton. »Wir sind nur einfache Bürger. Wir wohnen hier. Das ist hier eine gute Wohngegend. Wir sorgen dafür, daß es so bleibt. «
    Ein Mann mit einem Sportgewehr trat aus dem Schatten und stellte sich neben den Großen. Das Gewehr lag in seinem Armwinkel, die Mündung nach unten. Aber er sah nicht so aus, als hätte er es nur zum Vergnügen bei sich.
    »Mir soll's recht sein«, sagte ich. »Ich hab hier nichts im Sinn. Ich will bloß zu einer bestimmten Adresse. «
    »Zu welcher?« fragte der Große kühl.
    Ich wandte mich an Dolores. »Zu welcher?«
    »Es ist ein weißes Haus, oben auf dem Berg«, sagte sie.
    »Und was wollten Sie da oben machen?« fragte der große Mann.
    »Der Herr, der dort wohnt, ist mein Freund«, sagte sie spitz.
    Er leuchtete ihr einen Augenblick ins Gesicht. »Sie sehen toll aus«, sagte er. »Aber Ihren Freund mögen wir nicht. Wir mögen keine Typen, die in dieser Gegend Spielhöllen aufmachen wollen.«
    »Ich weiß nichts von einer Spielhölle«, sagte Dolores mit scharfer Stimme.
    »Die Polente auch nicht«, sagte der Große, »und die wollen es auch nicht wissen. Wie heißt denn Ihr Freund, Schätzchen?«
    »Das geht Sie nichts an«, zischte Dolores.
    »Fahr nach Hause und strick einen Strumpf, Liebling«' sagte der große Mann. Dann wandte er sich zu mir. »Die Straße wird heute nacht nicht benutzt«, sagte er. »Jetzt wissen Sie warum.«
    »Und Sie glauben, Sie können das durchsetzen?« fragte ich ihn.
    »Da müssen schon ein paar mehr kommen, um uns davon abzubringen. Sie sollten mal sehen, was wir für Steuern zahlen. Und wenn die dann für Gesetz und Ordnung sorgen sollen, dann drehen die bloß Däumchen, die da in dem Streifenwagen und alle anderen im Revier.«
    Ich entriegelte die Tür und machte sie auf. Er trat zurück und ließ mich aussteigen. Ich ging hinüber zum Streifenwagen. Die beiden Bullen waren faul zurückgelehnt. Ihren Funkempfänger hatten sie leise gestellt, ein kaum hörbares Murmeln. Der eine von ihnen kaute gleichmäßig einen Kaugummi.
    »Wie wär's, wenn Sie mal diese Straßensperre beseitigen würden, damit ehrliche Bürger weiterfahren können?« fragte ich ihn.
    »Keine Anweisung, Freund. Wir sind nur hier, um für Ruhe zu sorgen. Wenn jemand irgendwas anstellen will, halten wir die Hand vor.«
    »Da oben soll ja ein Spielsalon sein.«
    »Soll«, sagte der Polyp.
    »Glauben Sie's nicht?«
    »Ich versuch's noch nicht mal, Freund«, sagte er und spuckte an meiner Schulter vorbei.
    »Hören Sie, wir haben da oben was Dringendes zu erledigen!« Er sah mich ausdruckslos an und gähnte.
    »Besten Dank, Freund«, sagte ich.
    Ich kehrte zu dem Mercury zurück, zog meine Brieftasche und überreichte dem

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