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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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großen Mann eine Karte. Er leuchtete sie an und sagte: »Na und?«
    Er machte die Lampe aus und stand schweigend da. Sein Gesicht zeichnete sich schwach in der Dunkelheit ab.
    »Ich muß hier was erledigen. Für mich ist es sehr wichtig. Lassen Sie mich durch, dann brauchen Sie vielleicht morgen die Sperre nicht mehr.«
    »Große Worte, lieber Freund.«
    »Meinen Sie, ich hätte das Geld, um einen privaten Spielklub zu besuchen?«
    »Aber sie könnte es haben«, er warf einen schnellen Blick auf Dolores. »Sie hat Sie vielleicht nur zum Schutz mitgebracht.«
    Er wandte sich an den Mann mit dem Gewehr. »Was meinst du?«
    »Versuchen wir's. Es sind bloß zwei und beide nüchtern.«
    Der Große knipste wieder die Taschenlampe an und schwenkte sie seitwärts hin und her. Ein Motor wurde angelassen. Einer der Wagen fuhr rückwärts an die Böschung. Ich stieg ein, ließ den Mercury an und fuhr durch die Lücke; ich konnte im Rückspiegel sehen, wie der Wagen wieder in Stellung ging und dann sein Fernlicht wieder ausschaltete.
    »Ist das der einzige Weg, wo man hier rein und rauskommt?«
    »Das glauben die, Amigo. Es gibt noch einen Weg, aber das ist eine Privatstraße durch ein Grundstück. Wir müssen einen Umweg durchs Tal machen.«
    »Wir wären beinahe nicht durchgekommen.«, sagte ich zu ihr. »Jemand ist da wohl doch nicht so gefährlich dran.«
    »Ich wußte, daß Sie es schaffen würden, Amigo.«
    »Irgendwas stinkt hier«, sagte ich böse. »Und wilde Lilien sind das nicht.«
    »So ein mißtrauischer Mann. Wollen Sie mich nicht mal küssen?«
    »Das hätten Sie mal vorher, an der Sperre, anwenden sollen. Der Große sah einsam aus. Sie hätten ihn hinter einen Busch ziehen können.«
    Sie schlug mir mit dem Handrücken auf den Mund. »Sie Miststück«, sagte sie lässig.
    »Nächste Einfahrt links, bitte.«
    Wir erreichten die Höhe eines Hügels, und plötzlich endete die Straße in einem breiten, schwarzen Kreis, der mit weißgetünchten Steinen eingefaßt war. Direkt vor uns war ein Drahtzaun mit einem breiten Tor und auf dem Tor ein Schild: >Privatstraße. Keine Durchfahrt<. Das Tor stand offen, und an einem der Pfosten hing ein Vorhängeschloß am Ende einer Kette. Ich fuhr mit dem Wagen um einen weißen Oleanderbusch und befand mich auf dem Parkplatz eines langen weißen Hauses mit einem Ziegeldach und einer Garage für vier Wagen in der Ecke, unter einem rings ummauerten Balkon. Die beiden breiten Garagentore waren verschlossen. In dem Haus war kein Licht. Die weißen Stuckwände schimmerten bläulich. unter dem Mond, der hoch am Himmel stand. Vor einigen der unteren Fenster waren Jalousien geschlossen. Vier randvolle Müllbehälter standen nebeneinander am Fuß der Treppe. Eine große, leere Mülltonne stand auf dem Kopf. Zwei Eisenfässer standen da, voller Papier.
    Kein Geräusch kam aus dem Haus und kein Lebenszeichen. Ich brachte den Mercury zum Stehen, machte die Lichter und den Motor aus und saß nur da. Dolores rutschte zur Ecke. Der Sitz schien zu beben. Ich streckte die Hand aus, berührte sie. Sie zitterte.
    »Was ist los?«
    »Bitte steigen Sie aus«, sagte sie, als ob ihre Zähne klapperten.
    »Und was ist mit Ihnen?«
    Sie öffnete die Tür an ihrer Seite und sprang heraus. Ich stieg an meiner Seite aus, ließ die Tür offen und den Zündschlüssel stecken. Sie kam hinten um den Wagen herum, und als sie sich. näherte, konnte ich ihr Zittern schon fast fühlen, bevor sie mich berührte. Dann drückte sie sich fest an mich, Hüfte an Hüfte und Brust an Brust. Ihre Arme schlangen sich um meinen Hals.
    » Ich bin sehr dumm«, sagte sie weich. »Er wird mich dafür umbringen - genauso, wie er Stein umbrachte. Küß mich.«
    Ich küßte sie. Ihre Lippen waren heiß und trocken. »Ist er da drin?«
    »Ja.«
    »Wer noch?«
    »Sonst niemand - außer Mavis. Er wird sie auch umbringen.«
    »Hör ... «
    »Küß mich noch mal. Ich habe nicht lange zu leben, Amigo. Wenn man das Werkzeug von so einem Mann ist, stirbt man jung.«
    Ich stieß sie von mir fort, aber sanft.
    Sie trat zurück und hob schnell ihre rechte Hand. jetzt war da ein Revolver drin.
    Ich sah den Revolver an. Ein schwacher Glanz lag auf ihm, vom Mond. Sie hielt ihn gerade, und jetzt zitterte ihre Hand nicht.
    »Wie würde ich mich beliebt machen, wenn ich jetzt abdrücken würde«, sagte sie.
    »Die würden das unten an der Straße hören.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ein kleiner Hügel ist dazwischen. Ich glaube nicht, daß

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