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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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sie das hören würden, Amigo.«
    Ich dachte, der Revolver würde hochziehen, wenn sie abdrückte. Wenn ich mich im richtigen Moment fallen ließe - aber so gut war ich nicht. Ich sagte nichts. Meine Zunge lag dick in meinem Mund.
    Langsam, mit einer müden, weichen Stimme, sprach sie weiter. »Bei Stein war's egal.
    Den hätte ich selbst umgebracht - mit Freuden. Dieses Miststück. Sterben ist nichts Besonderes, Töten ist nichts Besonderes. Aber Leute in den Tod locken ... « Sie brach mit einer Art Schluchzer ab. »Amigo, irgendwie mochte ich Sie. Ich müßte über so einen Quatsch längst hinaus sein. Mavis hat ihn mir weggenommen, aber ich wollte nicht, daß er sie umbringt. Die Welt ist voll von Männern, die genug Geld haben.«
    »Er sieht wie ein netter kleiner Kerl aus«, sagte ich und beobachtete die Hand, die die Waffe hielt. Nicht das geringste Zittern war zu sehen.
    Sie lachte verächtlich. »Natürlich, so sieht er aus. Deswegen ist er das geworden, was er ist. Sie glauben, Sie seien abgebrüht, Amigo. Sie sind ein weicher Pfirsich gegen Steelgrave.« Sie senkte den Revolver, und jetzt hätte ich springen müssen. Aber ich war noch immer nicht gut genug.
    »Er hat ein Dutzend Männer umgebracht«, sagte sie. »Immer mit einem Lächeln. Ich kenne ihn seit langer Zeit. Ich kannte ihn schon in Cleveland.«
    »Mit dem Eisdorn?« fragte ich.
    »Wenn ich Ihnen die Kanone gebe, töten Sie ihn dann für mich?«
    »Glauben Sie mir denn, wenn ich es verspreche?«
    »Ja.« Irgendwo unten am Berg war ein Autogeräusch. Aber es schien so fern wie der Mars, so sinnlos wie das Schnattern der Affen im brasilianischen Urwald. Es hatte nichts mit mir zu tun.
    »Ich würde ihn umbringen, wenn ich müßte«, sagte ich und leckte mir die Lippen.
    Ich neigte mich ein bißchen vor, mit gebeugten Knien, wieder bereit zu springen.
    »Gute Nacht, Amigo. Ich trage Schwarz, weil ich schön und böse bin - und verloren.«
    Sie hielt mir die Waffe hin. Ich nahm sie. Ich stand einfach da und hielt sie. Einen stillen Augenblick lang bewegte sich keiner von uns. Dann lächelte sie, warf ihr Haar zurück und sprang ins Auto. Sie ließ den Motor an und schlug die Tür zu. Sie ließ den Motor leer laufen und sah mich an. jetzt war ein Lächeln in ihrem Gesicht.
    »Ich war doch ganz gut eben, oder?« sagte sie sanft.
    Dann stieß der Wagen heftig zurück, mit schrillem Reifenquietschen auf der Asphaltdecke. Die Scheinwerfer flammten auf. Der Wagen warf sich herum und war schon hinter dem Oleanderbusch. Die Lampen schwenkten nach links, in die Privatstraße. Die Lampen glitten zwischen den Bäumen davon, und das Geräusch mischte sich in das fortwährende Schrillen der Baumfrösche. Dann hörte auch das auf, und einen Augenblick war überhaupt kein Geräusch. Und keinerlei Licht außer dem müden alten Mond.
    Ich nahm das Magazin aus dem Revolver. Es waren sieben Patronen drin. Eine weitere war im Lauf. Zwei fehlten an der vollen Ladung. Ich roch an der Mündung. Es war nach der letzten Reinigung daraus gefeuert worden. Vielleicht zweimal gefeuert.
    Ich legte das Magazin wieder ein und hielt die Waffe auf dem Handteller. Sie hatte einen weißen Elfenbeingriff. Kaliber 0.32. Auf Orrin Quest war zweimal geschossen worden. Die gebrauchten Patronen, die ich vom Zimmerboden aufsammelte, hatten Kaliber 0.32. Und gestern nachmittag, in Zimmer 332 des Hotels Van Nuys, hatte eine blonde Frau mit einem Handtuch vor dem Gesicht eine 0.32 Automatik mit einem Elfenbeingriff auf mich gerichtet. Man kann sich viel zuviel einfallen lassen, was solche Sachen betrifft. Man kann sich auch zu wenig einfallen lassen.

27
    Auf den Gummiabsätzen ging ich rüber zur Garage und versuchte, eines der breiten Tore aufzumachen. Es gab keine Handgriffe, sie wurden offenbar mit Hilfe eines Schalters betrieben. Ich leuchtete den Rahmen mit einer kleinen Stablampe ab, aber kein Schalter sah mich an.
    Ich ließ es bleiben und schlenderte zu den Abfallbehältern. Eine Holztreppe führte zu einem Lieferanteneingang.
    Ich nahm nicht an, daß die Tür mir zu Gefallen unverschlossen war. Unter der Veranda war noch eine Tür. Sie war nicht verschlossen und ließ mich ein in die Dunkelheit und den Geruch von gebündeltem Eukalyptusholz. Ich machte die Tür hinter mir zu und leuchtete wieder mit der kleinen Lampe. In der Ecke war wieder eine Treppe, daneben so was Ähnliches wie ein stummer Diener, Benutzen konnte ich ihn nicht, dafür war er nicht stumm genug. Ich fing an, die

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