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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Treppe hinaufzusteigen.
    Irgendwo in der Ferne summte etwas. Ich hielt an. Das Summen hörte auf. Ich ging weiter. Das Summen kam nicht wieder. Ich stieg hinauf an eine Tür, glatt und fugenlos, ohne Knopf. Wieder so ein Spielzeug.
    Diesmal fand ich den Schalter dafür. Es war eine ovale Platte, die im Türrahmen eingelassen war. Zu viele schmutzige Hände hatten drauf gedrückt. Ich drückte drauf, die Tür hakte aus und sprang aus dem Schloß. Ich öffnete sie zärtlich wie eine junge Krankenschwester, die ihr erstes Baby entbindet.
    Innen war eine Diele. Durch die Jalousienritzen des Fensters schien das Mondlicht auf eine weiße Ofenecke und einen verchromten Rost darauf. Die Küche war groß genug für einen Tanzkurs. Ein Durchlaß mit Bogen führte zu einer Anrichte, die bis zur Decke gekachelt war. Ein Spülbecken, ein riesenhafter Eisschrank, der in die Wand eingelassen war, viele elektrische Sachen, um Drinks zu machen, ohne sich zu bewegen. Wählen Sie Ihr Gift, drücken Sie aufs Knöpfchen, und vier Tage darauf erwachen Sie auf dem Massagetisch eines Sanatoriums.
    Auf der anderen Seite der Anrichte eine Schwingtür. Hinter der Schwingtür ein dunkles Eßzimmer, dessen anderes Ende zu einem verglasten Wintergarten hinausging, durch den das Mondlicht strömte wie Wasser durch die offenen Schleusen eines Damms.
    Irgendwo zweigte ein teppichbelegter Gang ab. Hinter einem weiteren flachen Durchgang stieg eine Wendeltreppe in eine weitere Finsternis, aber sie glänzte, als sie bei so was Ähnlichem wie Glasziegeln mit Chromstahl ankam.
    Schließlich erreichte ich einen Raum, der wohl das Wohnzimmer war. Die Vorhänge waren zu, und es war sehr dunkel, aber es fühlte sich groß an. Die Dunkelheit hing schwer darin, und meine Nase schnüffelte einen nachhängenden Geruch, der bedeutete, daß hier vor nicht allzu langer Zeit jemand gewesen war. Ich hielt den Atem an und horchte. Vielleicht lauerten Tiger im Dunkeln und beobachteten mich. Oder Kerle mit großen Pistolen, die plattfüßig dastanden und leise, mit offenen Mündern atmeten. Oder gar nichts und zuviel Einbildung am falschen Ort.
    Ich bewegte mich vorsichtig zurück zur Wand und tastete nach einem Lichtschalter.
    Lichtschalter gibt's immer. Jeder hat Lichtschalter. Meistens rechts, wenn man eintritt.
    Man geht in einen dunklen Raum und will Licht. Na schön, man findet einen Lichtschalter am normalen Platz in der normalen Höhe. Aber hier nicht. Dieses Haus war anders. Die hatten hier eine komische Art, Türen und Lampen zu betätigen.
    Vielleicht war es diesmal irgendein ausgefallener Trick, zum Beispiel ein A über ein hohes C zu singen, oder auf einen flachen Knopf unter dem Teppich zu treten, oder vielleicht mußte man einfach sprechen, nur sagen »Es werde Licht«, und ein Mikrofon nahm es auf und verwandelte die Vibration in einen schwachen elektrischen Impuls, und ein Transformator schaukelte ihn hoch, bis genug Spannung da war, um einen lautlosen Quecksilberschalter zu bewegen.
    Ich war an diesem Abend durchgedreht. Ich war jemand, der Gesellschaft an einem dunklen Ort brauchte und dafür gerne einen hohen Preis bezahlt hätte. Die Luger unter dem Arm und die 0.32er in der Hand machten mich zu einem Mordskerl.
    Doppelschießer Marlowe, der Junge aus der Zyankali-Gosse.
    Ich machte die Lippen stramm und sagte laut: »Grüß Gott allerseits. Braucht hier jemand einen Detektiv?«
    Niemand antwortete, nicht mal ein halbes Echo. Das Geräusch meiner Stimme fiel auf die Stille wie ein müdes Haupt in ein Daunenkissen.
    Dann kam ein gelbes Licht auf, oben hinter der Deckenleiste, die am Rand des riesigen Raumes entlang ging. Es wurde allmählich heller, als ob es mit einem Weichregler betätigt würde wie im Theater. Schwere pfirsichfarbene Vorhänge bedeckten die Fenster.
    Die Wände waren auch pfirsichfarben. Am anderen Ende, seitlich, war eine Bar, schräg vor der Ecke, deren hinteres Ende sich bis in die Anrichte erstreckte. Es gab eine Sitzecke mit kleinen Tischchen und Polstersitzen. Es gab Tiefstrahler und Sessel und Kuschelsitze und das übliche Zubehör eines großen Wohnraums, und außerdem gab es lange Tische mit Überzügen in der Mitte.
    Die Burschen an der Straßensperre hatten schon recht. Aber die Bude war ausgestorben. Kein Leben in dem Raum. Fast kein Leben. Nicht ganz ohne Leben.
    Eine Blondine in einem blaßbraunen Pelzmantel stand angelehnt an einem Armsessel.
    Ihre Hände steckten in den Manteltaschen. Ihr Haar hing unordentlich

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